Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Beihilfen für erneuerbare Energien. Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020. Anreizeffekt einer Beihilfe, die nach dem Beginn der Arbeiten an dem betreffenden Vorhaben beantragt wurde. Notifizierungspflicht. Folgen eines Verstoßes gegen die Notifizierungspflicht
Normenkette
AEUV Art. 108 Abs. 3
Beteiligte
Tenor
1. Die Rn. 49 und 50 der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, mit der eine Beihilferegelung für erneuerbare Energien festgelegt wird, nach der die Beihilfe einem Antragsteller selbst dann gezahlt werden kann, wenn der Antrag nach Beginn der Arbeiten am betreffenden Vorhaben gestellt wird.
2. Die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020
sind dahin auszulegen, dass
eine staatliche Beihilfe einen Anreizeffekt haben kann, wenn die Investition, die ein Wirtschaftsteilnehmer getätigt hat, um sich einer Änderung der Voraussetzungen für die Erteilung einer für seine Tätigkeit erforderlichen Umweltgenehmigung anzupassen, wahrscheinlich nicht erfolgt wäre, wenn die betreffende Beihilfe nicht gezahlt worden wäre.
3. Art. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
ist dahin auszulegen, dass
eine bestehende Beihilferegelung, deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt durch einen Beschluss der Kommission festgestellt wurde, als „neue Beihilfe” im Sinne von Art. 1 Buchst. c dieser Verordnung einzustufen ist, wenn sie über den Zeitpunkt hinaus angewandt wird, den der betreffende Mitgliedstaat der Kommission im Rahmen des durch diesen Beschluss beendeten Beihilfeprüfverfahrens als Zeitpunkt mitgeteilt hatte, zu dem die Anwendung dieser Regelung endet.
4. Art. 108 Abs. 3 AEUV
ist dahin auszulegen, dass
er es nicht verbietet, dem Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Zahlung einer unter Verstoß gegen die in dieser Vorschrift vorgesehene Notifizierungspflicht durchgeführten staatlichen Beihilfe stattzugeben, und zwar zum einen für den Zeitraum vor dem Beschluss der Kommission, mit dem die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wurde, und zum anderen wenn der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Beihilfe zu einem Zeitpunkt beantragt hat, zu dem sie rechtswidrig war, weil sie nicht bei der Kommission notifiziert worden war, während die Investition, auf die sich die Beihilfe bezog, zu einem Zeitpunkt getätigt wurde, zu dem diese Beihilferegelung rechtmäßig war, weil ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt durch einen Beschluss der Kommission festgestellt worden war, sofern der Beihilfeempfänger in diesen beiden Situationen für den Zeitraum, in dem die Beihilfe als rechtswidrig angesehen wird, Zinsen auf die gegebenenfalls erlangten Beträge zahlt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland) mit Entscheidung vom 28. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2020, in dem Verfahren
AS Veejaam,
OÜ Espo
gegen
AS Elering
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der ersten Kammer, der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der OÜ Espo, vertreten durch H. Jürimäe und T. Laasik, Vandeadvokaadid,
- der AS Elering, vertreten durch K. Laidvee und A. Sigal, Vandeadvokaadid,
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg und M. Kriisa als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, G. Braga da Cruz und E. Randvere als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Juni 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 108 Abs. 3 AEUV und Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2015, L 248, S. 9) sowie von Rn. 50 der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 (ABl. 2014, C 200, S. 1) (im Folgenden: Leitlinien von 2014).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, zum einen zwischen der AS Veejaam und der AS Elering, der für die Bewilligung der Beihilfe für erneuerbare Energien zuständigen estnischen Behörde, und zum anderen zwischen der OÜ Espo und Elering ü...