Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Ersatz des durch ein nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotenes Verhalten verursachten Schadens. Beschluss der Kommission, mit dem das Vorliegen von Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) festgestellt wird. Nationale zivilprozessuale Vorschrift, die für den Fall, dass dem Antrag teilweise stattgegeben wird, vorsieht, dass jede Partei ihre Kosten trägt, es sei denn, es liegt ein missbräuchliches Verhalten vor. Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz. Ziele und Gesamtausgewogenheit. Recht auf vollständigen Ersatz des entstandenen Schadens. Gesamtschuldnerische Haftung der Rechtsverletzer bei einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht. Möglichkeit der Schätzung des Schadens durch ein nationales Gericht. Voraussetzungen. Praktisch unmögliche oder übermäßig schwierige Ermittlung des Schadensumfangs. Zeitliche Geltung

 

Normenkette

AEUV Art. 101 Abs. 1; Richtlinie 2014/104/EU Art. 3, 11 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 22

 

Beteiligte

Tráficos Manuel Ferrer

Tráficos Manuel Ferrer SL

D. Ignacio

Daimler AG

 

Tenor

1. Art. 101 AEUV und Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen zivilprozessualen Vorschrift, wonach in dem Fall, dass dem Antrag teilweise stattgegeben wird, jede Partei ihre Kosten und die Hälfte der gemeinsamen Kosten trägt, es sei denn, es liegt ein missbräuchliches Verhalten vor, nicht entgegenstehen.

2. Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104

ist dahin auszulegen, dass

weder der Umstand, dass der Beklagte einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage dem Kläger die Daten zur Verfügung stellte, auf die er sich stützte, um dem Gutachten des Klägers zu widersprechen, noch der Umstand, dass der Kläger seinen Anspruch lediglich gegen einen der Rechtsverletzer gerichtet hat, für sich genommen für die Beurteilung der Frage, ob es den nationalen Gerichten gestattet ist, den Schaden zu schätzen, relevant sind, da diese Schätzung zum einen voraussetzt, dass das Vorliegen des Schadens erwiesen ist, und zum anderen, dass es praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist, ihn genau zu beziffern, was bedeutet, dass sämtliche Parameter, die zu dieser Feststellung führen, u. a. die Erfolglosigkeit von Schritten wie des in Art. 5 der Richtlinie vorgesehenen Antrags auf Offenlegung von Beweismitteln, zu berücksichtigen sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil no 3 de Valencia (Handelsgericht Nr. 3 Valencia, Spanien) mit Entscheidung vom 10. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2021, in dem Verfahren

Tráficos Manuel Ferrer SL,

D. Ignacio

gegen

Daimler AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Tráficos Manuel Ferrer SL und von D. Ignacio, vertreten durch Á. Zanón Reyes, abogado,
  • der Daimler AG, vertreten durch E. de Félix Parrondo, J. M. Macías Castaño, M. López Ridruejo und M. Pérez Carrillo, abogados, sowie durch Rechtsanwälte C. von Köckritz und H. Weiß,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Carrillo Parra, F. Jimeno Fernández und C. Zois als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. September 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV, insbesondere hinsichtlich des sich daraus ergebenden Erfordernisses des vollständigen Ersatzes des Schadens, der durch ein wettbewerbswidriges Verhalten entstanden ist, sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Güterkraftverkehrsunternehmen, der Tráficos Manuel Ferrer SL und D. Ignacio, auf der einen und der Daimler AG auf der anderen Seite wegen einer von den beiden erstgenannten Unternehmen erhobenen Schadensersatzklage, die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der sich aus einer von der Europäischen Kommission festgestellten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV ergibt, die von mehreren Lkw-Herstellern, darunter Daimler, begangen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

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