Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Besondere Zuständigkeiten. Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist. Schädigendes Ereignis. Fahrlässigkeit des Rechtsanwalts bei der Erstellung eines Vertrags. Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 5 Nr. 3
Beteiligte
Universal Music International Holding |
Universal Music International Holding BV |
Michael Tétreault Schilling |
Tenor
1. Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist”, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.
2. Das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht hat bei der Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung Nr. 44/2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof, Niederlande) mit Entscheidung vom 9. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2015, in dem Verfahren
Universal Music International Holding BV
gegen
Michael Tétreault Schilling,
Irwin Schwartz,
Josef Brož
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Universal Music International Holding BV, vertreten durch C. Kroes und S. Janssen, advocaten,
- von Herrn Michael Tétreault Schilling, vertreten durch A. Knigge, P. A. Fruytier und L. Parret, advocaten,
- von Herrn Josef Brož, vertreten durch F. Vermeulen und B. Schim, advocaten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou, S. Lekkou und S. Papaïoannou als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Universal Music International Holding BV (im Folgenden: Universal Music) mit Sitz in den Niederlanden auf der einen und Herrn Michael Schilling, Herrn Irwin Schwartz und Herrn Josef Brož, Rechtsanwälte mit Wohnsitz in Rumänien, Kanada bzw. in der Tschechischen Republik, auf der anderen Seite wegen einer Fahrlässigkeit, die Rechtsanwalt Brož bei der Erstellung eines Aktienoptionsvertrags in der Tschechischen Republik unterlaufen ist.
Rechtlicher Rahmen
Brüsseler Übereinkommen
Rz. 3
Art. 5 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der nachfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
…
3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;
…”
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 11, 12, 15 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:
„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Ve...