Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Wendung ‚Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist’
Beteiligte
Philippo's Mineralenfabriek NV/SA |
Tenor
Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist”, im Rahmen eines Rechtsstreits wie dem des Ausgangsverfahrens der Ort ist, an dem der ursprüngliche Schaden beim gewöhnlichen Gebrauch des Erzeugnisses für seinen bestimmungsgemäßen Zweck eingetreten ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 4. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Mai 2008, in dem Verfahren
Zuid-Chemie BV
gegen
Philippo's Mineralenfabriek NV/SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Zuid-Chemie BV, vertreten durch P. Knijp, advocaat,
- der Philippo's Mineralenfabriek NV/SA, vertreten durch M. Polak, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und P. van Nuffel als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Zuid-Chemie BV (im Folgenden: Zuid-Chemie), einem Unternehmen mit Sitz in Sas van Gent (Niederlande), das Kunstdünger herstellt, und der Philippo's Mineralenfabriek NV/SA (im Folgenden: Philippo's) mit Sitz in Essen (Belgien) wegen eines von dieser an die Zuid-Chemie gelieferten verunreinigten Erzeugnisses, das für die Herstellung von Kunstdünger verwendet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften”) gehört, lautet:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.”
Rz. 5
Art. 5 der Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten”) gehört, bestimmt:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
…
3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;
…”
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 6
Zuid-Chemie ist ein Unternehmen, das Kunstdünger herstellt; im Juli 2000 kaufte sie von der HCI Chemicals Benelux BV (im Folgenden: HCI), einem Unternehmen mit Sitz in Rotterdam (Niederlande), zwei Partien eines Erzeugnisses namens „Micromix”.
Rz. 7
HCI, die Micromix nicht selbst herstellen kann, bestellte es bei Philippo's und lieferte dieser, mit einer Ausnahme, die für die Herstellung des Erzeugnisses erforderlichen Ausgangsstoffe. Den noch fehlenden Ausgangsstoff, nämlich Zinksulfat, bezog Philippo's im Einvernehmen mit HCI von G. J. de Poorter, handelnd unter dem Namen Poortershaven, in Rotterdam.
Rz. 8
Philippo's stellte das Micromix in ihrer Fabrik in Belgien her, wo Zuid-Chemie es abholte.
Rz. 9
Zuid-Chemie verarbeitete das Micromix in ihrer Fabrik in den Niederlanden zu verschiedenen Partien Kunstdünger und verkaufte und verschiffte einen Teil davon an ihre Abnehmer.
Rz. 10
Später stellte sich heraus, dass der Kadmiumgehalt des von Poortershaven bezogenen Zinksulfats zu hoch war, so dass der Kunstdünger nicht oder nur eingeschränkt verwendbar war, wodurch Zuid-Chemie nach ihren Angaben ein Schaden entsta...