Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Äquivalenzgrundsatz. Effektivitätsgrundsatz. Verfahren zum Erlass eines Mahnbescheids und eines Pfändungsbeschlusses gegenüber Dritten. Die Gültigkeit der Klauseln des Vollstreckungstitels implizit erfassende Rechtskraft. Befugnis des Vollstreckungsgerichts, die etwaige Missbräuchlichkeit einer Klausel von Amts wegen zu prüfen

 

Normenkette

Richtlinie 93/13/EWG

 

Beteiligte

SPV Project 1503

SPV Project 1503 Srl

Dobank SpA

Banco di Desio e della Brianza SpA

Banca di Credito Cooperativo di Carugate e Inzago sc

Intesa Sanpaolo SpA

Banca Popolare di Sondrio s.c.p.a

Cerved Credit Management SpA

YB

YX

ZW

 

Tenor

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn ein von einem Gericht auf Antrag eines Gläubigers erlassener Mahnbescheid vom Schuldner nicht mit einem Widerspruch angefochten worden ist, später das Vollstreckungsgericht die diesem Mahnbescheid zugrunde liegenden Vertragsklauseln nicht auf ihre etwaige Missbräuchlichkeit hin überprüfen darf, weil die Rechtskraft dieses Mahnbescheids implizit die Gültigkeit dieser Klauseln umfasst, wodurch eine Prüfung von deren Gültigkeit ausgeschlossen wird. Dass dem Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Mahnbescheid unanfechtbar geworden ist, nicht bewusst war, dass er als „Verbraucher” im Sinne dieser Richtlinie eingestuft werden konnte, ist insoweit unerheblich.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) mit Entscheidungen vom 10. August 2019 und vom 31. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 13. September 2019 und am 14. November 2019, in den Verfahren

SPV Project 1503 Srl,

Dobank SpA

gegen

YB (C-693/19),

und

Banco di Desio e della Brianza SpA,

Banca di Credito Cooperativo di Carugate e Inzago sc,

Intesa Sanpaolo SpA,

Banca Popolare di Sondrio s.c.p.a,

Cerved Credit Management SpA

gegen

YX,

ZW (C-831/19)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin (Berichterstatter) und I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič, J.-C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb, N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi und des Richters A. Kumin,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Banco di Desio e della Brianza, vertreten durch F. L. Monti, S. Sironi und P. Vitiello, Avvocati,
  • von ZW, vertreten durch S. M. Zigni und M. Buzzini, Avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Grumetto, Avvocato dello Stato,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch U. Kühne, J. Möller und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta, J. Ruiz Sánchez und J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) und von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der SPV Project 1503 Srl (im Folgenden: SPV) und der Dobank SpA als Bevollmächtigte der Unicredit SpA auf der einen sowie YB auf der anderen Seite bzw. zwischen der Banco di Desio e della Brianza SpA (im Folgenden: BDB) und weiteren Kreditinstituten auf der einen sowie YX und ZW auf der anderen Seite über Zwangsvollstreckungsverfahren auf der Grundlage rechtskräftig gewordener Vollstreckungstitel.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet: „Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird”.

Rz. 4

Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:

Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

…”

Rz. 5

In Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten s...

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