Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Drittstaatsangehörigen durch ein Unternehmen eines Mitgliedstaats zur Durchführung von Arbeiten in einem anderen Mitgliedstaat. Dauer von über 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen. Pflicht entsandter drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer, bei einem Leistungszeitraum von über drei Monaten Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat zu sein. Begrenzung der Gültigkeitsdauer der ausgestellten Aufenthaltserlaubnisse. Höhe der Gebühren für die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis. Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
AEUV Art. 56-57
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Détachement de travailleurs de pays tiers) |
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid |
Tenor
1.Die Art. 56 und 57 AEUV sind dahin auszulegen, dass drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern, die von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringer in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, weder in dem Mitgliedstaat, in dem sie beschäftigt sind, noch in dem Mitgliedstaat, in den sie entsandt werden, automatisch ein „abgeleitetes Aufenthaltsrecht“ zuzuerkennen ist.
2.Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die vorsieht, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen, wenn es in ersterem Mitgliedstaat eine Dienstleistung mit einer Dauer von über drei Monaten erbringt, verpflichtet ist, im Aufnahmemitgliedstaat für jeden drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer, den es dorthin entsenden möchte, eine Aufenthaltserlaubnis einzuholen, und dass es zum Erhalt dieser Erlaubnis zuvor die Dienstleistung, zu deren Erbringung die Arbeitnehmer zu entsenden sind, meldet und den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die Aufenthaltserlaubnisse, über die diese Arbeitnehmer im Mitgliedstaat der Niederlassung des Unternehmens verfügen, sowie ihren Arbeitsvertrag übermittelt.
3.Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der erstens die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis, die einem in diesen Mitgliedstaat entsandten drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer erteilt werden kann, jedenfalls nicht eine in dieser Regelung festgelegte Dauer überschreiten darf, die somit kürzer sein kann als die für die Erbringung der Leistung, für die dieser Arbeitnehmer entsandt wird, erforderliche Dauer, zweitens die Gültigkeitsdauer dieser Aufenthaltserlaubnis auf die Gültigkeitsdauer der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis begrenzt ist, über die der Betroffene im Mitgliedstaat der Niederlassung des Dienstleistungserbringers verfügt, und drittens die Ausstellung dieser Aufenthaltserlaubnis die Zahlung von Gebühren erfordert, die höher sind als die Gebühren für die Ausstellung eines Nachweises über den rechtmäßigen Aufenthalt eines Unionsbürgers, sofern erstens die ursprüngliche Gültigkeitsdauer dieser Erlaubnis nicht offensichtlich zu kurz ist, um den Bedürfnissen der meisten Dienstleistungserbringer zu entsprechen, zweitens es möglich ist, diese Erlaubnis ohne übermäßige Formalitäten verlängern zu lassen, und drittens diese Gebühren annähernd den Verwaltungskosten entsprechen, die durch die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer solchen Erlaubnis entstehen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-540/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Middelburg (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Middelburg, Niederlande) mit Entscheidung vom 11. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 11. August 2022, in dem Verfahren
SN u. a.
gegen
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič, I. Jarukaitis und D. Gratsias,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von SN u. a., vertreten durch B. J. Maes und D. O. Wernsing, Advocaten,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, A. Hanje und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- – der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Collett, E. Eikeland und S. Hammersvik als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati, A. Katsimerou, P.-J. Loewenthal und M. Mataija als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 und 57 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Recht...