Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Freiwilliger und vorzeitiger Eintritt in den Ruhestand. Vorzeitige Altersrente. Anspruch. Betrag der zu beziehenden Rente, der mindestens dem gesetzlichen Mindestbetrag entsprechen muss. Anteil der Beschäftigten jedes Geschlechts, die vom Vorruhestand ausgeschlossen sind. Rechtfertigung eines möglichen besonderen Nachteils für weibliche Beschäftigte. Sozialpolitische Ziele des betreffenden Mitgliedstaats
Normenkette
Richtlinie 79/7/EWG Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) |
Tenor
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die bei freiwilligem Eintritt eines dem allgemeinen System der sozialen Sicherheit angeschlossenen Beschäftigten in den Vorruhestand den Anspruch dieses Beschäftigten auf eine vorzeitige Altersrente von der Voraussetzung abhängig macht, dass der Betrag dieser Altersrente mindestens dem Betrag der Mindestrente, auf die dieser Beschäftigte mit 65 Jahren Anspruch hätte, entspricht, auch wenn – was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist – diese Regelung weibliche Beschäftigte gegenüber männlichen Beschäftigten in besonderer Weise benachteiligte, jedoch nur, soweit diese Folge durch legitime sozialpolitische Ziele gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Oberstes Gericht von Katalonien, Spanien) mit Entscheidung vom 12. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. November 2019, in dem Verfahren
Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS)
gegen
BT
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl, des Richters F. Biltgen (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), vertreten durch A. Álvarez Moreno und G. Guadaño Segovia als Bevollmächtigte,
- von BT, vertreten durch I. de Gispert Català, abogado,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch A. Pimenta, M. Carneiro, J. Marques und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und C. Valero als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (Staatliche Sozialversicherungsanstalt, Spanien, im Folgenden: INSS) und BT über die Weigerung des INSS, BT eine vorzeitige Altersrente zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 79/7 lautet:
„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – im Folgenden ‚Grundsatz der Gleichbehandlung’ genannt – schrittweise verwirklicht wird.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie sieht vor, dass sie auf gesetzliche Systeme Anwendung findet, die u. a. Schutz gegen das Risiko „Alter” bieten.
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:
- den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
- die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
- die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.”
Rz. 6
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23) bestimmt:
„Im Sinne dieser ...