Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Warenverkehr. Gewerbliches und kommerzielles Eigentum. Verkauf von Vervielfältigungsstücken von Werken in einem Mitgliedstaat, in dem das Urheberrecht an diesen Werken nicht geschützt ist. Beförderung dieser Waren in einen anderen Mitgliedstaat, in dem die Verletzung dieses Urheberrechts strafrechtlich sanktioniert ist. Strafverfahren gegen den Spediteur wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten eines urheberrechtlich geschützten Werks
Beteiligte
Titus Alexander Jochen Donner |
Tenor
1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit” im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2011, in dem Strafverfahren gegen
Titus Alexander Jochen Donner
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Donner, vertreten durch die Rechtsanwälte E. Kempf, H.-C. Salger und S. Dittl,
- des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, vertreten durch R. Griesbaum als Bevollmächtigten im Beistand von Oberstaatsanwalt K. Lohse,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda, G. Wilms und N. Obrovsky als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 34 AEUV und 36 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens vor den deutschen Gerichten gegen Herrn Donner, der wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der am 20. Dezember 1996 in Genf angenommene Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) (im Folgenden: WCT) wurde mit dem Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.
Rz. 4
Art. 6 („Verbreitungsrecht”) WCT bestimmt:
„(1) Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
(2) Dieser Vertrag berührt nicht die Freiheit der Vertragsparteien, gegebenenfalls zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen sich das Recht nach Absatz 1 nach dem ersten mit Erlaubnis des Urhebers erfolgten Verkauf des Originals oder eines Vervielfältigungsstücks oder der ersten sonstigen Eigentumsübertragung erschöpft.”
Rz. 5
Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10) dient nach ihrem 15. Erwägungsgrund u. a. dazu, einigen Verpflichtungen aus dem WCT nachzukommen.
Rz. 6
Art. 4 („Verbreitungsrecht”) der Richtlinie 2001/29 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf d...