Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Geistiges Eigentum. Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Neuheit. Eigenart. Offenbarung. Befugnisse des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) im Rahmen der Beweisführung. Dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren obliegende Beweislast. Anforderungen an die Wiedergabe des älteren Geschmacksmusters. Geschmacksmuster, das eine Duschablaufrinne darstellt. Zurückweisung des Antrags auf Nichtigerklärung durch die Beschwerdekammer
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 5-7, 63
Beteiligte
Easy Sanitary Solutions / Group Nivelles |
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) |
Easy Sanitary Solutions BV |
Tenor
1. Die Rechtsmittel in den Rechtssachen C-361/15 P und C-405/15 P werden zurückgewiesen.
2. Die Easy Sanitary Solutions BV trägt in der Rechtssache C-361/15 P neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Group Nivelles NV und des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO).
3. Das EUIPO trägt in der Rechtssache C-405/15 P neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Group Nivelles NV.
4. Das EUIPO trägt in der Rechtssache C-405/15 P ein Drittel der der Easy Sanitary Solutions BV entstandenen Kosten, wobei die beiden verbleibenden Drittel der Easy Sanitary Solutions BV aufzuerlegen sind.
5. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt in der Rechtssache C-405/15 P seine eigenen Kosten.
Gründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Easy Sanitary Solutions BV (im Folgenden: ESS) und das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Mai 2015, Group Nivelles/HABM – Easy Sanitary Solutions (Duschabflussrinne) (T-15/13, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:281), mit dem dieses die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 4. Oktober 2012 (Sache R 2004/2010-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der I-Drain BVBA und ESS (im Folgenden: streitige Entscheidung) aufgehoben hat.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Gemäß dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) sollte sich der Schutz „weder auf Bauelemente erstrecken, die während der bestimmungsgemäßen Verwendung eines Erzeugnisses nicht sichtbar sind, noch auf Merkmale eines Bauelements, die unsichtbar sind, wenn das Bauelement eingebaut ist, oder die selbst nicht die Voraussetzungen der Neuheit oder Eigenart erfüllen. Merkmale eines Geschmacksmusters, die aus diesen Gründen vom Schutz ausgenommen sind, sollten bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Geschmacksmusters die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht herangezogen werden”.
Rz. 3
Gemäß dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 sollte die Frage, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, „danach beurteilt werden, inwieweit sich der Gesamteindruck, den der Anblick des Musters beim informierten Benutzer hervorruft, deutlich von dem unterscheidet, den der vorbestehende Formschatz bei ihm hervorruft, und zwar unter Berücksichtigung der Art des Erzeugnisses, bei dem das Muster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere des jeweiligen Industriezweigs und des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Musters”.
Rz. 4
Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Geschmacksmuster’ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt”.
Rz. 5
Art. 4 („Schutzvoraussetzungen”) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.”
Rz. 6
Art. 5 („Neuheit”) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Ein Geschmacksmuster gilt als neu, wenn der Öffentlichkeit:
- im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,
- im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag,
kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.
(2) Geschmacksmuster gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.”
Rz. 7
Art. 6 („Eigenart”) der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:
„(1) Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar:
- im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an d...