Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Verletzungsklage. Nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses. Schutzvoraussetzungen. Bauelement eines komplexen Erzeugnisses. Eigenart. Handlung der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 4, 6, 11
Beteiligte
Mansory Design & Holding GmbH |
Tenor
Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist.
Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. März 2020, in dem Verfahren
Ferrari SpA
gegen
Mansory Design & Holding GmbH,
WH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos und des Richters M. Ilešič (Berichterstatter),
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Ferrari SpA, vertreten durch Rechtsanwälte R. Pansch und A. Sabellek,
- der Mansory Design & Holding GmbH sowie von WH, vertreten durch Rechtsanwältin B. Ackermann,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und T. Machovičová als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, T. Scharf und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ferrari SpA auf der einen Seite und der Mansory Design & Holding GmbH (im Folgenden: Mansory Design) sowie deren Geschäftsführer WH auf der anderen Seite wegen einer Verletzungsklage und Annexanträgen aufgrund der angeblichen Verletzung von Rechten aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 6, 7, 16, 17, 21 und 25 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:
„(6) Da die Ziele der beabsichtigten Aktion, nämlich insbesondere der Schutz eines Geschmacksmusters in einem einzigen Gebiet, das alle Mitgliedstaaten umfasst, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Schaffung eines gemeinschaftlichen Geschmacksmusters und einer entsprechenden Gemeinschaftsbehörde besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die [Union] im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …
(7) Ein verbesserter Schutz für gewerbliche Geschmacksmuster fördert deshalb nicht nur den Beitrag einzelner Entwerfer zu der herausragenden Gesamtleistung der Gemeinschaft auf diesem Gebiet, sondern ermutigt auch zur Innovation und zur Entwicklung neuer Erzeugnisse sowie zu Investitionen für ihre Herstellung.
…
(16) Einige … Wirtschaftszweige [der Union] bringen zahlreiche Geschmacksmuster für Erzeugnisse hervor, die häufig nur eine kurze Lebensdauer auf dem Markt haben; für sie ist ein Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer von geringerer Bedeutung. Andererseits gibt es Wirtschaftszweige, die die Vorteile der Eintragung wegen ihrer größeren Rechtssicherheit schätzen und der Möglichkeit einer längeren, der absehbaren Lebensdauer ihrer Erzeugnisse auf dem Markt entsprechenden Sc...