Entscheidungsstichwort (Thema)
Luftverkehr. Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Art. 5. Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste bei Annullierung von Flügen. Befreiung von der Ausgleichspflicht. Annullierung aufgrund von außergewöhnlichen Umständen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären
Beteiligte
Friederike Wallentin-Hermann |
Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA |
Tenor
1. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände” im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ist für die Auslegung der Befreiungsgründe nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht ausschlaggebend.
2. Die Häufigkeit der bei einem Luftfahrtunternehmen festgestellten technischen Probleme ist als solche kein Umstand, anhand dessen sich auf das Vorliegen oder Fehlen „außergewöhnlicher Umstände” im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 schließen ließe.
3. Allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, reicht nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen” im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen hat, und somit für seine Befreiung von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung aus.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Handelsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 30. Oktober 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 2007, in dem Verfahren
Friederike Wallentin-Hermann
gegen
Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter T. von Danwitz, E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin,
- der Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA, vertreten durch Rechtsanwalt O. Borodajkewycz,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala und D. Tsagkaraki als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von D. Beard, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Vidal Puig und M. Vollkommer als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Wallentin-Hermann und der Alitalia – Linee Aeree Italiane SpA (im Folgenden: Alitalia) nach deren Weigerung, der Klägerin des Ausgangsverfahrens, deren Flug annulliert wurde, Ausgleich zu leisten.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Das am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossene Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal) wurde von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichnet und in ihrem Namen mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38) genehmigt. Dieses Übereinkommen ist für die Gemeinschaft am 28. Juni 2004 in Kraft getreten.
Rz. 4
Die Art. 17 bis 37 des Übereinkommens von Montreal bilden Kapitel III („Haftung des Luftf...