Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Stillhalteklausel. Familienzusammenführung. Nationale Regelung, mit der für Ehegatten türkischer Staatsangehöriger, die über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in dem betreffenden Mitgliedstaat verfügen, neue, restriktivere Voraussetzungen für die Familienzusammenführung eingeführt werden. Erfordernis, dass der türkische Arbeitnehmer eine Prüfung ablegt, die Kenntnisse eines bestimmten Niveaus in der Amtssprache dieses Mitgliedstaats bescheinigt. Rechtfertigung. Ziel der Gewährleistung einer erfolgreichen Integration

 

Normenkette

Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Art. 9; Beschluss Nr. 1/80 Art. 10 Abs. 1, Art. 13

 

Beteiligte

Udlændingenævnet

X

Udlændingenævnet

 

Tenor

Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei

ist wie folgt auszulegen:

Eine nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses in dem betreffenden Mitgliedstaat eingeführte nationale Rechtsvorschrift, nach der die Familienzusammenführung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhält, und seinem Ehegatten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass dieser Arbeitnehmer erfolgreich eine Prüfung ablegt, die Kenntnisse eines bestimmten Niveaus in der Amtssprache dieses Mitgliedstaats bescheinigt, stellt eine „neue Beschränkung” im Sinne dieser Bestimmung dar. Eine solche Beschränkung kann nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine erfolgreiche Integration dieses Ehegatten zu gewährleisten. Denn diese Rechtsvorschrift erlaubt den zuständigen Behörden weder die Berücksichtigung der eigenen Integrationsfähigkeit des Ehegatten noch anderer Faktoren als eine solche bestandene Prüfung, die die tatsächliche Integration dieses Arbeitnehmers in dem betreffenden Mitgliedstaat und damit seine Fähigkeit, seinem Ehegatten bei der Integration in diesen Mitgliedstaat zu helfen, belegen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark) mit Entscheidung vom 15. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 28. April 2021, in dem Verfahren

X

gegen

Udlændingenævnet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von X, vertreten durch E. O. R. Khawaja, Advokat,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, Advokat,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Grønfeldt und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits sowie den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3687) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen), sowie von Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des mit diesem Abkommen eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der türkischen Staatsangehörigen X und dem Udlændingenævn (Beschwerdeausschuss für Ausländer, Dänemark) wegen der Zurückweisung eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis in Dänemark zur Familienzusammenführung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Assoziierungsabkommen

Rz. 3

Nach Art. 2 Abs. 1 des Assoziierungsabkommens hat dieses zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, dass hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstands und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden.

Rz. 4

Art. 9 des Assoziierungsabkommens lautet:

„Die Vertragsparteien erkennen an, dass für den Anwendungsbereich des Abkommens unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die möglicherweise auf Grund von Artikel 8 noch erlassen werden, dem in Artikel 7 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft verank...

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