Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsangleichung. Richtlinien 84/450/EWG und 97/55/EG. Vergleichende Werbung. Unlautere Ausnutzung des Rufes des Unterscheidungszeichens eines Mitbewerbers
Beteiligte
VIPA Gesellschaft für Visualisierung und Prozeßautomatisierung mbH |
Tenor
Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung in der durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits der Ruf eines in Fachkreisen bekannten Unterscheidungszeichens eines Herstellers nicht in unlauterer Weise ausgenutzt wird, wenn ein konkurrierender Anbieter in seinen Katalogen den Kernbestandteil dieses Unterscheidungszeichens verwendet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2005, in dem Verfahren
Siemens AG
gegen
VIPA Gesellschaft für Visualisierung und Prozeßautomatisierung mbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Siemens AG, vertreten durch Rechtsanwalt S. Jackermeier und Patentanwalt D. Laufhütte,
- der VIPA Gesellschaft für Visualisierung und Prozeßautomatisierung mbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Osterloh und E. Osterloh,
- der Republik Polen, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und F. Hoffmeister als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung (ABl. L 250, S. 17) in der durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 (ABl. L 290, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 84/450).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Siemens AG (im Folgenden: Klägerin) und der VIPA Gesellschaft für Visualisierung und Prozeßautomatisierung mbH (im Folgenden: Beklagte) über deren Werbung zur Förderung des Verkaufs von Komponenten, die mit den von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Steuerungen kompatibel sind.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Nach Artikel 2 Nummer 2a der Richtlinie 84/450 bedeutet „vergleichende Werbung” im Sinne dieser Richtlinie „jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht”.
4 Artikel 3a Absatz 1 der Richtlinie 84/450 sieht vor:
„Vergleichende Werbung gilt, was den Vergleich anbelangt, als zulässig, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:
…
c) sie vergleicht objektiv eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften dieser Waren und Dienstleistungen, zu denen auch der Preis gehören kann;
…
g) sie nutzt den Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise aus;
…”
5 Die zweite, die vierzehnte und die fünfzehnte Begründungserwägung der Richtlinie 97/55 lauten wie folgt:
„(2) Mit der Vollendung des Binnenmarktes wird das Angebot immer vielfältiger. Da die Verbraucher aus dem Binnenmarkt größtmöglichen Vorteil ziehen können und sollen und die Werbung ein sehr wichtiges Instrument ist, mit dem überall in der Gemeinschaft wirksam Märkte für Erzeugnisse und Dienstleistungen erschlossen werden können, sollten die wesentlichen Vorschriften für Form und Inhalt der Werbung einheitlich sein und die Bedingungen für vergleichende Werbung in den Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Unter diesen Umständen wird dies dazu beitragen, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen. Vergleichende Werbung kann ferner den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher fördern.
…
(14) Indessen kann es für eine wirksame vergleichende Werbung unerlässlich sein, Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers dadurch erkennbar zu machen, dass auf eine ihm gehörende Marke oder auf seinen Handelsnamen Bezug genommen wird.
(15) Eine solche Benutzung von Marken, Handelsnamen oder anderen Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers stellt keine Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts Dritter dar, wenn sie unter Beachtung der in dieser ...