Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftsrecht. Missbräuchliche Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts. Nationale Rechtsvorschrift, die den Rechtsmissbrauch verbietet. Anwendung durch die nationalen Gerichte. Freizügigkeit. Niederlassungsfreiheit. Gesellschaften. Änderung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft. Nationale Regelung, die die Erhöhung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten durch Verwaltungsentscheidung vorsieht. Blockierung der Rechte aus der Richtlinie durch Rückgriff auf eine den Rechtsmissbrauch verbietende nationale Rechtsvorschrift (Richtlinie 77/91 des Rates, Artikel 25 Absatz 1)
Leitsatz (amtlich)
1. Die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet. Es kann daher nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, dass nationale Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird. Jedoch darf die Anwendung einer solchen nationalen Rechtsvorschrift nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
(vgl. Randnrn. 33-34, 44 und Tenor)
2. Einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie 77/91 beruft, darf eine missbräuchliche Ausübung des Rechts aus dieser Bestimmung nicht deshalb zur Last gelegt werden, weil er Minderheitsaktionär ist, weil ihm die Sanierung der einer Sanierungsregelung unterliegenden Gesellschaft zugute gekommen ist, weil er sein Bezugsrecht nicht ausgeübt hat, weil er zu den Aktionären gehört, die die Unterstellung der Gesellschaft unter die für Gesellschaften in ernsten Schwierigkeiten geltende Regelung beantragt haben, oder weil er vor der Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen. Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer solchen Bestimmung des nationalen Rechts durch die nationalen Gerichte nicht entgegen, wenn sich ein Aktionär unter den Rechtsbehelfen, die für die Behebung einer durch einen Verstoß gegen die Richtlinie entstandenen Lage zur Verfügung stehen, für denjenigen entscheidet, der den berechtigten Interessen Dritter einen derart schweren Schaden zufügt, daß er offensichtlich unverhältnismäßig ist.
(vgl. Randnrn. 36-37, 43-44 und Tenor)
Normenkette
Richtlinie 77/91/EWG
Beteiligte
Organismos Oikonomikis Anasygkrotisis Epicheiriseon AE (OAE) |
Tenor
Es ist gemeinschaftsrechtlich zulässig, daß die nationalen Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, nach der sie prüfen dürfen, ob ein Recht aus einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung missbräuchlich ausgeübt wird. Jedoch darf bei dieser Prüfung einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, beruft, eine missbräuchliche Ausübung des Rechts aus dieser Bestimmung nicht deshalb zur Last gelegt werden, weil er Minderheitsaktionär ist, weil ihm die Sanierung der einer Sanierungsregelung unterliegenden Gesellschaft zugute gekommen ist, weil er sein Bezugsrecht nicht ausgeübt hat, weil er zu den Aktionären gehört, die die Unterstellung der Gesellschaft unter die für Gesellschaften in ernsten Schwierigkeiten geltende Regelung beantragt haben, oder weil er vor der Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen. Dagegen steht das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer solchen Bestimmung des nationalen Rechts durch die nationalen Gerichte nicht entgegen, wenn sich ein Aktionär unter den Rechtsbehelfen, die für die Behebung einer durch einen Verstoß gegen die Richtlinie entstandenen Lage zur Verfügung stehen, für denjenigen entscheidet, der den berechtigten Interessen Dritter einen derart schweren Schaden zufügt, daß er offensichtlich unverhältnismäßig ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
C-373/97
...
erlässt
der Gerichtshof (Sechste Kammer)
folgendes
Urteil:
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Polymeles Protodikeio Athen hat mit Beschluss vom 24. Juni 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 25 und 29 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu ge...