Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Versagung des Vorsteuerabzugs, Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, Rechtsmittel gegen einen Steuerbescheid, Aussetzung einer Einspruchsentscheidung, Nationales Verfahrensrecht
Normenkette
EGRL 112/2006; EU-Grundrechtecharta Art. 47
Beteiligte
Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Cluj |
Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Cluj-Napoca |
Verfahrensgang
Înalta Curte de Casatie si Justitie (Rumänien) (Beschluss vom 23.07.2020; ABl. EU 2021, Nr. C 53/18) |
Tenor
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die es den nationalen Steuerbehörden erlaubt, die Entscheidung über einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid, mit dem einem Steuerpflichtigen wegen seiner Beteiligung an einem Steuerbetrug das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wurde, auszusetzen, um zusätzliche objektive Informationen über die Beteiligung an dem Steuerbetrug zu erlangen, nicht entgegenstehen, sofern erstens die Aussetzung nicht zu einer übermäßig langen Verzögerung des Einspruchsverfahrens führt, zweitens die Entscheidung, mit der die Aussetzung verfügt wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet ist und einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann und drittens der Steuerpflichtige, falls sich herausstellen sollte, dass der Vorsteuerabzug unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt worden ist, den entsprechenden Betrag in angemessener Frist erstattet verlangen kann, gegebenenfalls nebst Verzugszinsen. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht erforderlich, dass während der Dauer der Aussetzung der Entscheidung über den Einspruch auch die Vollziehung des Steuerbescheids, gegen den der Einspruch eingelegt wurde, ausgesetzt wird, es sei denn, dies ist bei begründeten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids erforderlich, um eine schwere, nicht wiedergutzumachende Beeinträchtigung der Interessen des Steuerpflichtigen zu verhindern.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidung vom 23. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2020, in dem Verfahren
SC Cridar Cons SRL
gegen
Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Cluj,
Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Cluj-Napoca
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), M. Ilešič, D. Gratsias und Z. Csehi,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SC Cridar Cons SRL, vertreten durch C. F. Costaş, S. I. Puţ und A. Tomuţa, Avocaţi,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, R. I. Haţieganu und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und A. Armenia als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) und von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Cridar Cons SRL (im Folgenden: Cridar) einerseits und der Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Cluj (Kreisverwaltung für öffentliche Finanzen Cluj, Rumänien) (im Folgenden: AJFP Cluj) und der Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Cluj-Napoca (Regionale Generaldirektion für öffentliche Finanzen Cluj-Napoca, Rumänien) (im Folgenden: DGRFP Cluj-Napoca) andererseits wegen einer Entscheidung, mit der die Entscheidung über einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid, mit dem das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wurde, bis zum Abschluss eines Strafverfahrens ausgesetzt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 4
Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…”
Rumänisches Recht
Steu...