Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Umwelt. Erhaltung der natürlichen Lebensräume. Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg (Deutschland). Natura-2000-Gebiete am Lauf der Elbe stromaufwärts vom Kohlekraftwerk. Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem geschützten Gebiet
Normenkette
Richtlinie 92/43/EWG Art. 6 Abs. 3
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, dass sie bei der Genehmigung der Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg bei Hamburg (Deutschland) keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 9. März 2016,
Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes und E. Manhaeve als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt W. Ewer,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2017,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitat-Richtlinie) verstoßen hat, dass sie bei der Genehmigung der Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg bei Hamburg (Deutschland) keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Die Erwägungsgründe 1, 4 und 10 der Habitat-Richtlinie lauten:
„Wie in Artikel [191 AEUV] festgestellt wird, sind Erhaltung, Schutz und Verbesserung der Qualität der Umwelt wesentliches Ziel der [Union] und von allgemeinem Interesse; hierzu zählt auch der Schutz der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.
…
Der Zustand der natürlichen Lebensräume im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten verschlechtert sich unaufhörlich. Die verschiedenen Arten wildlebender Tiere und Pflanzen sind in zunehmender Zahl ernstlich bedroht. Die bedrohten Lebensräume und Arten sind Teil des Naturerbes der [Union], und die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, ist oft grenzübergreifend; daher sind zu ihrer Erhaltung Maßnahmen auf [Unionsebene] erforderlich.
…
Pläne und Projekte, die sich auf die mit der Ausweisung eines Gebiets verfolgten Erhaltungsziele wesentlich auswirken könnten, sind einer angemessenen Prüfung zu unterziehen.”
Rz. 3
Art. 2 Abs. 2 der Habitat-Richtlinie bestimmt:
„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.”
Rz. 4
Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitat-Richtlinie sieht vor:
„(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.
(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.
Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das ei...