Entscheidungsstichwort (Thema)

Einwanderungspolitik. Recht minderjähriger Kinder von Drittstaatsangehörigen auf Familienzusammenführung. Richtlinie 2003/86/EG. Schutz der Grundrechte. Recht auf Achtung des Familienlebens. Verpflichtung zur Berücksichtigung des Wohls des minderjährigen Kindes

 

Beteiligte

Parlament / Rat

Europäisches Parlament

Rat der Europäischen Union

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Das Europäische Parlament trägt die Kosten.

3. Die Bundesrepublik Deutschland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG, eingereicht am 22. Dezember 2003,

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Duintjer Tebbens und A. Caiola als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch O. Petersen und M. Simm als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O'Reilly und C. Ladenburger als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

und

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch A. Tiemann sowie W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas (Berichterstatter) und K. Schiemann sowie der Richter J.-P. Puissochet, K. Lenaerts, P. Kūris, E. Juhász, E. Levits und A. Ó Caoimh,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2005,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. September 2005

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Mit seiner Klageschrift beantragt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung des Artikels 4 Absätze 1 letzter Unterabsatz und 6 sowie des Artikels 8 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12, im Folgenden: Richtlinie).

2 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 5. Mai 2004 sind die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Bundesrepublik Deutschland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates der Europäischen Union zugelassen worden.

Die Richtlinie

3 Die auf den EG-Vertrag und insbesondere dessen Artikel 63 Nummer 3 Buchstabe a gestützte Richtlinie legt die Bedingungen fest für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.

4 Ihre zweite Begründungserwägung lautet:

„Maßnahmen zur Familienzusammenführung sollten in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden, die in zahlreichen Instrumenten des Völkerrechts verankert ist. Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere in Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [ABl. 2000, C 364, S. 1, im Folgenden: Charta] anerkannt wurden.”

5 In der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie heißt es:

„Mit der Möglichkeit, das Recht auf Familienzusammenführung bei Kindern über 12 Jahre, die ihren Hauptwohnsitz nicht bei dem Zusammenführenden haben, einzuschränken, soll der Integrationsfähigkeit der Kinder in den ersten Lebensjahren Rechnung getragen und gewährleistet werden, dass sie die erforderliche Allgemeinbildung und Sprachkenntnisse in der Schule erwerben.”

6 Nach ihrem Artikel 3 findet die Richtlinie Anwendung, wenn der Zusammenführende im Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit ist und begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen, und wenn seine Familienangehörigen Drittstaatsangehörige sind, wobei ihre Rechtsstellung unerheblich ist.

7 Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie lässt günstigere Bestimmungen unberührt:

  1. der bilateralen und multilateralen Übereinkünfte zwischen der Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Drittländern andererseits,
  2. der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961, der geänderten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 1987 und des Europäischen Übereinkommens über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer vom 24. November 1977.”

8 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten insbesondere den minderjährigen Kindern, jeweils einschließlich der adoptierten, des Zusammenführenden und seines Ehegatten sowie, wenn der entsprechende Elternteil das Sorgerecht besitzt und für den Unterhalt der Kinder aufkommt, des Zusammenführenden oder seines Ehegatten gemäß der Richtlinie die Einreise und den Aufenthalt gestatten. Nach Artikel 4 Absatz 1 vorletzter Unterabsatz dürfen die minderj...

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