Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Verbraucherkreditvertrag, der eine missbräuchliche Klausel enthält. Zwangsvollstreckung aus einem in Anwendung dieser Klausel ergangenen Schiedsspruch. Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einem nationalen Gericht zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind. Voraussetzungen für den Eintritt. Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG
Beteiligte
Ministerstvo spravodlivosti SR |
Tenor
1. Die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund einer Entscheidung eines nationalen Gerichts entstanden sind, kann nur dann eintreten, wenn diese Entscheidung von einem letztinstanzlichen Gericht dieses Mitgliedstaats stammt; dies im Hinblick auf den Ausgangsrechtsstreit zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts. Ist dies der Fall, kann eine Entscheidung dieses nationalen letztinstanzlichen Gerichts nur dann einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht darstellen, der geeignet ist, die Haftung des Staates auszulösen, wenn das Gericht mit dieser Entscheidung offenkundig gegen geltendes Recht verstoßen hat oder wenn es trotz des Bestehens einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Verstoß kommt.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein nationales Gericht, das es vor dem Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C-243/08, EU:C:2009:350), unterlassen hat, im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens aus einem Schiedsspruch, mit dem einer Klage auf Verurteilung zur Zahlung von Forderungen aufgrund einer als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehenden Vertragsklausel stattgegeben wurde, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit dieser Klausel zu prüfen, obwohl es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügte, die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig verkannt und daher einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht begangen hat.
2. Die Regeln für den Ersatz eines durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht verursachten Schadens, wie die über die Bewertung eines solchen Schadens oder das Zusammenspiel zwischen einer Klage auf Ersatz dieses Schadens und den anderen gegebenenfalls zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen, richten sich unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes nach dem nationalen Recht jedes Mitgliedstaats.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov, Slowakei) mit Entscheidung vom 12. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2015, in dem Verfahren
Milena Tomášová
gegen
Ministerstvo spravodlivosti SR,
Pohotovost' s. r. o.,
Beteiligte:
Združenie na ochranu občana spotrebitel'a HOOS,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund, S. Rodin und E. Regan,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und S. Šindelková als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár, D. Roussanov und M. Konstantinidis als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. April 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Voraussetzungen für den Eintritt der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einem nationalen Gericht zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Tomášová auf der einen Seite und dem Ministerstvo spravodlivosti SR (Justizministerium der Slowakischen Republik) sowie der Pohotovost' s. r. o. auf der anderen Seite wegen der Vollstreckung eines Schiedsspruchs, mit dem Frau Tomášová zur Zahlung von Geldbeträgen im Zusammenhang mit einem Verbraucherkreditvertrag verurteilt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) bestimmt:
„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.
(2) Eine Vertragsklausel ist immer dann als nich...