Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Öffentliche Dienstleistungsaufträge. Art. 43 EG und 49 EG. Richtlinien 92/50/EWG und 2004/18/EG. Öffentliche Rettungsdienste. Notfalltransport und qualifizierter Krankentransport. Transparenzgebot. Art. 45 EG. Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Art. 86 Abs. 2 EG. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Rahmen der Vergabe von Aufträgen über öffentliche Notfall- und qualifizierte Krankentransportleistungen nach dem Submissionsmodell in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 10 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit Art. 16 dieser Richtlinie bzw., seit 1. Februar 2006, aus Art. 22 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit Art. 35 Abs. 4 dieser Richtlinie verstoßen, dass sie keine Bekanntmachungen über die Ergebnisse des Verfahrens zur Auftragsvergabe veröffentlicht hat.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Europäische Kommission, die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich der Niederlande tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 16. April 2008,
Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und D. Kukovec als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
unterstützt durch
Königreich der Niederlande, vertreten durch C. M. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Februar 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Richtlinien 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) sowie gegen die Prinzipien der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, wie sie in den Art. 43 EG und 49 EG niedergelegt sind, verstoßen hat, dass sie Aufträge im Bereich öffentlicher Notfalltransportleistungen und qualifizierter Krankentransportleistungen (im Folgenden: öffentliche Krankentransportleistungen) nicht öffentlich ausgeschrieben bzw. nicht transparent vergeben hat und dass sie keine Bekanntmachungen über vergebene Aufträge veröffentlicht hat.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 92/50
Rz. 2
Nach Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/50 gelten als „öffentliche Dienstleistungsaufträge” die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge.
Rz. 3
Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:
„Die Auftraggeber sorgen dafür, dass keine Diskriminierung von Dienstleistungserbringern stattfindet.”
Rz. 4
Nach ihrem Art. 7 Abs. 1 gilt diese Richtlinie für öffentliche Aufträge für Dienstleistungen, wenn deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer 200 000 Euro oder mehr beträgt.
Rz. 5
Art. 10 dieser Richtlinie bestimmt:
„Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IA und des Anhangs IB sind, werden nach den Vorschriften der Abschnitte III bis VI vergeben, wenn der Wert der Dienstleistungen des Anhangs IA größer ist als derjenige der Dienstleistungen des Anhangs IB. Ist dies nicht der Fall, so werden sie gemäß den Artikeln 14 und 16 vergeben.”
Rz. 6
Die in Art. 10 der Richtlinie 92/50 genannten Abschnitte, die in vollem Umfang auf die von Art. 10 Satz 1 erfassten Fälle anwendbar sind, betreffen die Wahl der Vergabeverfahren und die Durchführung von Wettbewerben (Abschnitt III, Art. 11 bis 13), gemeinsame technische Vorschriften (Abschnitt IV, Art. 14), gemeinsame Bekanntmachungsvorschriften (Abschnitt V, Art. 15 bis 22) sowie gemeinsame Teilnahmebestimmungen, Eignungskriterien und Zuschlagskriterien (Abschnitt VI, Art. 23 bis 37).
Rz. 7
Art. 14 dieser R...