Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Vertikale Vereinbarungen. Mindestpreise für den Weiterverkauf, die ein Lieferant seinen Vertriebshändlern vorschreibt. Begriff ‚bezweckte Wettbewerbsbeschränkung‘. Begriff ‚Vereinbarung‘. Nachweis der Willensübereinstimmung zwischen dem Lieferanten und seinen Vertriebshändlern. Praxis, die nahezu das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats abdeckt. Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten. Kernbeschränkung
Normenkette
AEUV Art. 101; EGV 2790/1999; Verordnung (EU) Nr. 330/2010
Beteiligte
Autoridade da Concorrência |
Tenor
1.Art. 101 Abs. 1 AEUV
ist dahin auszulegen, dass
die Feststellung, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf eine „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ enthält, nur getroffen werden kann, nachdem festgestellt wurde, ob diese Vereinbarung unter Berücksichtigung des Inhalts ihrer Bestimmungen, der mit der Vereinbarung verfolgten Ziele sowie aller Gesichtspunkte, die den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, bilden, den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.
2.Art. 101 Abs. 1 AEUV
ist dahin auszulegen, dass
eine „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn ein Lieferant seinen Vertriebshändlern Mindestpreise für den Weiterverkauf der von ihm vertriebenen Waren vorschreibt, soweit die Vorgabe dieser Preise durch den Lieferanten und ihre Einhaltung durch die Vertriebshändler Ausdruck des übereinstimmenden Willens der Parteien ist. Diese Übereinstimmung des Willens kann sich sowohl aus den Klauseln des in Rede stehenden Vertriebsvertrags ergeben, wenn dieser eine ausdrückliche Aufforderung enthält, Mindestpreise für den Weiterverkauf einzuhalten, oder den Lieferanten zumindest autorisiert, solche Preise festzusetzen, als auch aus dem Verhalten der Parteien und insbesondere der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung der Vertriebshändler zu der Aufforderung, sich an Mindestpreise für den Weiterverkauf zu halten.
3.Art. 101 AEUV in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz
ist dahin auszulegen, dass
das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne dieses Artikels zwischen einem Lieferanten und seinen Vertriebshändlern nicht nur durch unmittelbare Beweise nachgewiesen werden kann, sondern auch durch objektive und übereinstimmende Indizien, aus denen auf das Vorliegen einer solchen Vereinbarung geschlossen werden kann.
4.Art. 101 Abs. 1 AEUV
ist dahin auszulegen, dass
der Umstand, dass eine vertikale Vereinbarung über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Weiterverkauf nahezu das gesamte, aber nicht das vollständige Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats abdeckt, nicht ausschließt, dass diese Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-211/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) mit Entscheidung vom 24. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2022, in dem Verfahren
Super Bock Bebidas SA,
AN,
BQ
gegen
Autoridade da Concorrência
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von Super Bock Bebidas SA, AN und BQ, vertreten durch J. Caimoto Duarte, R. da Silva, F. Espregueira Mendes, R. Mesquita Guimarães, A. Navarro de Noronha, R. Sarabando Pereira, A. Veloso Pedrosa und J. Whyte, Advogados,
- – der Autoridade da Concorrência, vertreten durch S. Assis Ferreira und A. Cruz Nogueira, Advogadas,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch C. Alves und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,
- – der griechischen Regierung, vertreten durch K. Boskovits als Bevollmächtigten,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch und G. Eberhard als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Baches Opi, P. Berghe und P. Caro de Sousa als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV sowie von Art. 4 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1) sowie der Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. 2010, C 130, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Super Bock Bebidas SA (im Folgenden: Super ...