Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Dienstleistungsverkehr. Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten, unternehmerische Freiheit, Eigentumsrecht, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, Grundsatz ne bis in idem. Geltungsbereich. Durchführung des Unionsrechts. Glücksspiele. Restriktive Regelung eines Mitgliedstaats. Verwaltungsbehördliche und strafrechtliche Sanktionen. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
AEUV Art. 56; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 15-17, 47, 50-51
Beteiligte
Tenor
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, sofern diese Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (jetzt Landesverwaltungsgericht Oberösterreich) mit Entscheidung vom 10. August 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. August 2012, in den Verfahren auf Betreiben von
Robert Pfleger,
Autoart as,
Mladen Vucicevic,
Maroxx Software GmbH,
Hans-Jörg Zehetner
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Vucicevic, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Rabl und A. Auer,
- der Maroxx Software GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte F. Wennig und F. Maschke,
- von Herrn Zehetner, vertreten durch Rechtsanwalt P. Ruth,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Silva Coelho und P. de Sousa Inês als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und I. Rogalski als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. November 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV sowie der Art. 15 bis 17, 47 und 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, die Herr Pfleger, Autoart as (im Folgenden: Autoart), Herr Vucicevic, die Maroxx Software GmbH (im Folgenden: Maroxx) und Herr Zehetner wegen verwaltungsbehördlicher Sanktionen angestrengt haben, die aufgrund des Betriebs von Glücksspielautomaten ohne eine Erlaubnis hierfür gegen sie verhängt worden waren.
Österreichisches Recht
Bundesglücksspielgesetz
Rz. 3
Das Bundesgesetz vom 28. November 1989 zur Regelung des Glücksspielwesens (Glücksspielgesetz, BGBl. Nr. 620/1989) in seiner auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden. GSpG) bestimmt in seinem Art. 2 („Ausspielungen”):
„(1) Ausspielungen sind Glücksspiele,
- die ein Unternehmer veranstaltet, organisiert, anbietet oder zugänglich macht und
- bei denen Spieler oder andere eine vermögenswerte Leistung in Zusammenhang mit der Teilnahme am Glücksspiel erbringen (Einsatz) und
- bei denen vom Unternehmer, von Spielern oder von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt wird (Gewinn).
(2) Unternehmer ist, wer selbstständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausübt, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein. Wenn von unterschiedlichen Personen in Absprache miteinander Teilleistungen zur Durchführung von Glücksspielen mit vermögenswerten Leistungen im Sinne der Z 2 und 3 des Abs. 1 an einem Ort angeboten werden, so liegt auch dann Unternehmereigenschaft aller an der Durchführung des Glücksspiels unmittelbar beteiligten Personen vor, wenn bei einzelnen von ihnen die Einnahmenerzielungsabsicht fehlt oder sie an der Veranstaltung, Organisation oder dem Angebot des Glücksspiels nur beteiligt sind.
(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielaut...