Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Anwendungsbereich. Ausschluss der Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen. Vom Gewerbetreibenden dem Verbraucher mitgeteilte Zusatzvereinbarung zu einem Kreditvertrag zur Einhaltung nationaler Rechtsvorschriften. Nicht im Einzelnen ausgehandelte Vertragsklausel. Fehlende Unterschrift des Verbrauchers unter der Zusatzvereinbarung. Vermutung der stillschweigenden Annahme dieser Zusatzvereinbarung. Nationale Rechtsprechung, die die gerichtliche Überprüfung einer Vertragsklausel, die in einer solchen Zusatzvereinbarung enthalten ist, auf ihre Missbräuchlichkeit ausschließt
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG; Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
1.Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen
ist dahin auszulegen, dass
er der Prüfung von Klauseln in einem Verbraucherkreditvertrag, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossen wurde, auf ihre Missbräuchlichkeit nicht entgegensteht, wenn an diesen Klauseln durch den Gewerbetreibenden Änderungen vorgenommen wurden, um die Vereinbarkeit dieses Vertrags mit bindenden nationalen Rechtsvorschriften über die Modalitäten der Bestimmung des Zinssatzes sicherzustellen, sofern diese Rechtsvorschriften nur einen allgemeinen Rahmen für die Festlegung des Zinssatzes für diesen Vertrag festlegen, dem Gewerbetreibenden aber sowohl bei der Wahl des Referenzindex für diesen Zinssatz als auch hinsichtlich der Höhe der festen Marge, die auf den Zinssatz aufgeschlagen werden kann, einen Gestaltungsspielraum lassen.
2.Art. 3 der Richtlinie 93/13
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach Änderungen, die an Klauseln eines Verbraucherkreditvertrags durch einen Gewerbetreibenden vorgenommen werden, um die Vereinbarkeit dieses Vertrags mit nationalen Rechtsvorschriften sicherzustellen, die dem Gewerbetreibenden einen Gestaltungsspielraum lassen, auch dann nicht Gegenstand einer Prüfung auf ihre Missbräuchlichkeit sein können, wenn diese Klauseln nicht mit dem Verbraucher ausgehandelt wurden.
Tatbestand
In der Rechtssache C-176/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Specializat Mureş (Fachgericht Mureş, Rumänien) mit Entscheidung vom 2. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 21. März 2023, in dem Verfahren
UG
gegen
SC Raiffeisen Bank SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der rumänischen Regierung, vertreten durch R. Antonie, E. Gane und L. Ghiţă als Bevollmächtigte,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, A. Cunha, A. Luz und L. Medeiros als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Boitos und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen UG, einem Verbraucher, und der SC Raiffeisen Bank SA über die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem zwischen diesen Parteien geschlossenen Kreditvertrag.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“
Rz. 4
Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“
Rz. 5
Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich...