Welcher Haftungstatbestand bei Überschwemmungsschäden durch eine kommunale Abwasserkanalisation in Betracht zu ziehen ist, hängt ab von der Schadensursache und dem Schadensverlauf.
2.1 Gefährdungshaftung
Als erstes ist die Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Haftpflichtgesetz (HaftPflG) in den Blick zu nehmen, weil sie keinen Verschuldensnachweis erfordert. Dieser Haftungstatbestand wird auch Wirkungshaftung genannt, weil die durch die öffentliche Kanalisation verursachten Überschwemmungen auf den Wirkungen des in den Kanalrohren transportierten Wassers beruhen.
Obwohl die Abwasserbeseitigung eine öffentliche Aufgabe der Kommunen ist, gehört nach ständiger Rechtsprechung des BGH die kommunale Abwasserkanalisation zu den in § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG genannten Rohrleitungsanlagen, an die das Gesetz eine Gefährdungshaftung ihres Inhabers knüpft.
Gefährdungshaftung erfasst nur verrohrte Anlagen
Ganz entscheidend ist, dass die Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG ausschließlich verrohrte Anlagen erfasst, während es hinsichtlich nicht verrohrter offener Gräben und Kanäle bei den allgemeinen Risiken und Haftungsnormen verbleibt. Ist deshalb etwa eine Regenwasserkanalisation streckenweise verrohrt und streckenweise als offener Graben geführt, kommt es maßgeblich darauf an, an welcher Stelle das schadensstiftende Wasser ausgetreten ist. Nur wenn es im verrohrten Streckenabschnitt ausgetreten ist, gilt die Gefährdungshaftung.
Gefährdungshaftung umfasst nicht Rückstauschäden
Die Gefährdungshaftung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG erstreckt sich nicht auf Rückstauschäden, die im Haus eines an eine gemeindliche Kanalisationsanlage angeschlossenen Benutzers dadurch entstehen, dass Wasser durch die Kanalisationsanlage in das Gebäude eindringt. Jeder Grundstückseigentümer ist selbst verpflichtet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um sein Anwesen gegen Rückstauungen bis zur Rückstauebene zu sichern. Ein durch eine Verengung der Abwasserleitung verursachter Rückstauschaden, der durch eine Rückstaueinrichtung hätte verhindert werden können, liegt dann außerhalb des Schutzbereichs einer verletzten Pflicht, wenn der Anlieger nach der einschlägigen Satzung zum Einbau einer solchen Sicherung verpflichtet ist. Auf den Grund, weshalb es zu einem Rückstau im Leitungssystem gekommen ist, kommt es dann regelmäßig nicht an.
Höhere Gewalt
Führt ein ganz ungewöhnlicher und seltener Starkregen etwa mit einer Wiederkehr von mehr als 100 Jahren zu einem Rückstau in der Abwasserkanalisation und zu einem Wiederaustritt des Regenwassers aus den Gullys, kann sich die Gemeinde gegenüber der Gefährdungshaftung auf höhere Gewalt nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 HaftPflG berufen.
Haftungsbegrenzung
Die Gefährdungshaftung für Überschwemmungsschäden nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG ist nicht unbegrenzt. Vielmehr muss nach § 10 Abs. 1 HaftPflG für Sachschäden nur bis zu einem Betrag von 300.000 EUR gehaftet werden.
2.2 Haftung aus enteignendem Eingriff
Eine Haftung der Gemeinde aus enteignendem Eingriff hat der BGH in einem Fall bejaht, in dem ein offenes Regenrückhaltebecken der kommunalen Kanalisation bei heftigen Regenfällen übergelaufen ist und die Wassermassen ein tiefer gelegenes Grundstück überschwemmt haben.
Gegenstück zum zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch
Der Anspruch aus enteignendem Eingriff ist nach Auffassung des BGH das öffentlich-rechtliche Gegenstück zum zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch unter Nachbarn nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.
Für den BGH ist entscheidend, dass die Beseitigung von Regen- und Abwasser einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge darstellt und damit der schlichthoheitlichen Verwaltung zuzuordnen ist. Dies gilt auch für ein in das kommunale Kanalsystem eingegliedertes Regenrückhaltebecken.
Überstaugefährdung
Die Umstände, die bei starken Regenfällen zum Überlaufen eines offenen Regenrückhaltebeckens führen, liegen nach Auffassung des Gerichts nicht außerhalb der von hoher Hand geschaffenen und in dem Bauwerk selbst angelegten Gefahrenlage. Vielmehr realisiert sich bei einem Überstau die ständige latente Gefährdung des Anliegergrundstücks. Etwas anderes ließe sich allenfalls bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Katastrophenregen annehmen, auf den eine Gemeinde ihr Kanalsystem auch unter dem Gesichtspunkt der besonderen Gefährdung benachbarter Grundstücke möglicherweise nicht auslegen muss.
Haftungsbegrenzung
Der Anspruch aus enteignendem Eingriff ist nicht auf vollen Schadensausgleich gerichtet, sondern lediglich auf Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen.