Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung, ob der Umgang wegen einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB für längere Zeit einzuschränken oder auszuschließen ist, müssen die Wertungen von Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention Berücksichtigung finden, wonach sicherzustellen ist, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet.
2. Auch wenn es im Anwendungsbereich der Istanbul-Konvention dabei bleiben muss, dass bei einer Entscheidung letztlich das Kindeswohl ausschlaggebend ist, muss gemäß Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention bei der Regelung des Sorge- oder Umgangsrechts auch die eigene Betroffenheit der Mutter als Opfer häuslicher Gewalt berücksichtigt werden.
Normenkette
BGB § 1684 Abs. 3, 4 S. 2, § 1697a Abs. 1; Istanbul-Konvention Art. 31 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 80 F 17/19) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 4. Dezember 2020 - 80 F 17/19 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Der Vater ist berechtigt und verpflichtet, mit dem Kind ..., geboren am XX. XX 2017, einmal im Monat und zwar am zweiten Donnerstag des jeweiligen Monats, beginnend ab der 36. Kalenderwoche, in der Zeit von 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr Umgang zu haben. Die Übergaben werden jeweils durch den nachfolgend bestimmten Umgangspfleger begleitet. Der Umgangspfleger holt A um 13.00 Uhr in der Kita/Schule ab, bringt sie zum Vater, holt sie dort wieder ab und bringt sie um 18.00 Uhr zur Mutter zurück. Sollte A an einem Umgangstag nicht in der Kita/Schule sein, holt der Umgangspfleger sie bei der Mutter um 13.00 Uhr ab.
2. Muss ein Umgangstag wegen Krankheit des Kindes oder wegen seiner Abwesenheit von Berlin entfallen, so hat die Mutter den Umgangspfleger unverzüglich davon zu unterrichten. Ersatztag für den ausgefallenen Umgang ist der nächste mögliche Donnerstag in den darauffolgenden Wochen.
3. Kann der Vater einen Umgangstag nicht wahrnehmen, hat er den Umgangspfleger hiervon sobald wie möglich in Kenntnis zu setzen. Der Umgang entfällt dann ersatzlos.
4. Zur Durchführung des Umgangs wird eine Umgangspflegschaft bis zum 31. Dezember 2023 angeordnet.
5. Zum Umgangspfleger wird Herr Diplom-Sozialpädagoge ... bestellt. Die Umgangspflegschaft wird berufsmäßig ausgeführt.
6. Dem Umgangspfleger wird das Recht übertragen, die Herausgabe des Kindes gegenüber der Mutter und der Kita zur Durchführung des Umgangs zu verlangen und für die Dauer des Umgangs den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Die Mutter hat das Kind an den Umgangspfleger herauszugeben. Ist der Umgangspfleger an einem Umgangstag verhindert, wird der Umgang ebenfalls am nächsten möglichen Donnerstag nachgeholt.
7. Der Mutter wird vorsorglich für den Fall, dass das Kind aus gesundheitlichen Gründen verhindert sein sollte, an einem der angeordneten Umgangstermine teilzunehmen, bereits jetzt aufgegeben, hierüber ein aussagekräftiges ärztliches Attest zur Erkrankung des Kindes einzureichen. Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn sich der Umgangspfleger persönlich davon überzeugen konnte, dass bei dem Kind eine Erkrankung vorliegt, die die Ausübung des persönlichen Umgangs mit dem Vater nicht zulässt.
8. Für jede Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung kann ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft angeordnet werden. Sofern die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, kann sogleich Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden (§ 89 Abs. 1 FamFG).
9. Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert.
10. Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz haben die Eltern je zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden nicht erstattet.
11. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern streiten um den Umgang des Vaters mit der gemeinsamen, am XX. XX 2017 geborenen, Tochter A, die aus der durch Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 18. Dezember 2019 rechtskräftig geschiedenen Ehe der Eltern hervorgegangen ist. Nach der Geburt des Kindes nahm zunächst die Mutter und anschließend der Vater für sieben Monate Elternzeit, wobei die Mutter ab Juli 2018 ihre Erwerbstätigkeit in Teilzeit zu 80 % wieder aufnahm. Die Eltern leben seit dem 23. November 2018 getrennt. Die Mutter verließ die Ehewohnung unter Mitnahme des Kindes und zog vorübergehend zu ihren Eltern und am 18. Dezember 2018 in eine eigene Wohnung. Während der Ehe kam es zu physischer und psychischer Gewalt des Vaters gegenüber der Mutter, auch im Beisein des Kindes, wobei der letzte Vorfall körperlicher Gewalt im März 2018 erfolgte. Der Vater wurde rechtskräftig durch Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 27. Februar 2020 wegen Körperverletzung in acht Fällen, in einem Fall tateinheitli...