Leitsatz (amtlich)
1. Eine zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden bestehende, innige und emotionale, langjährige Bekanntschaft, die längst zu einer engen Freundschaft und wechselseitigen Verbundenheit erstarkt ist, stellt keine Beziehung dar, die in ihrer Intensität und Qualität einem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbar wäre, so dass die Annahme einer Volljährigen als Kind sittlich gerechtfertigt ist.
2. Bei dem Merkmal der 'sittlichen Rechtfertigung' handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Seine Ausfüllung ist nicht den eigenen Erklärungen und dem Dafürhalten der Beteiligten überantwortet, sondern die Voraussetzung dafür bzw. das Vorliegen des Merkmals ist vom Familiengericht nach eigener Prüfung positiv festzustellen, um eine Volljährigenadoption aussprechen zu können.
3. Am Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen den Annehmenden und der volljährigen Anzunehmenden darf das Familiengericht zweifeln, wenn die Anzunehmende eine intakte Beziehung zu ihren eigenen leiblichen Eltern bzw. zu ihrer eigenen Familie unterhält.
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 23b F 7801/22) |
Tenor
Die Beschwerden der Anzunehmenden und des Annehmenden gegen den am 27. Juni 2023 erlassenen Beschlusses des Amtsgerichts Pankow - 23b F 7801/22 - werden auf ihre Kosten nach einem Beschwerdewert von 150.000 EUR zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Anzunehmende, eine in Berlin lebende, volljährige ukrainische Staatsangehörige, sowie der Annehmende, deutscher Staatsangehöriger, wenden sich gegen die am 27. Juni 2023 erlassene Entscheidung des Familiengerichts, mit der der Antrag des Annehmenden und seiner im Zuge des Verfahrens verstorbenen Ehefrau, die Anzunehmende als Kind anzunehmen, zurückgewiesen wurde.
Zur Begründung, weshalb der notariell beurkundete Annahmeantrag vom 29. September 2022 (UR-Nr. 1384/22 des Rechtsanwalts ... L. als amtlich bestelltem Vertreter des Notars ...M., B.) zurückzuweisen sei, hat das Familiengericht darauf verwiesen, dass die von den Annehmenden begehrte Annahme der volljährigen Anzunehmenden sittlich nicht gerechtfertigt sei, weil zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis nicht bereits entstanden sei. Zwischen ihnen bestehe zwar eine innige und emotionale, langjährige Bekanntschaft, die längst zu einer engen Freundschaft und wechselseitigen Verbundenheit erstarkt sei, aber keine Beziehung, die in ihrer Intensität und Qualität mit einem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbar wäre. Damit sei auch nicht zu rechnen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Anzunehmende und der Annehmende. Sie meinen, sie beide - sowie die verstorbene Ehefrau des Annehmenden, die ebenfalls beantragt hat, die Anzunehmende als volljähriges Kind zu adoptieren - seien "bereits unbestritten eine richtige 'Familie' geworden, die mit eigenen 'hohen moralischen Werten' und 'familiärer Liebe' füreinander verlässlich" einstünden und die vom Gesetz "geforderten Bedingungen einer normalen Familie mehr als erfüllen". Sie sind weiter der Auffassung, das Gesetz verlange nicht, "dass hier ein Richter eigenständige Ermittlungen führen [solle] und diese in den Prozess [einführe]. Laut Dispositionsmaxime [obliege] es im Zivilprozess allein dem Antragsteller, Fakten vorzutragen, die vom Gericht als vorgelegte Beweise einzustufen [seien]. Es [sei] daher auch nicht Aufgabe eines Richters, sich hier als wachender Gutachter über nicht im deutschen Recht definierte Familiennormen zu sehen und die Form und die Qualität des unzweifelhaft [...] bereits entstandenen Eltern-Kind-Verhältnisses in seiner Intensität oder individuellen Ausgestaltung zu bewerten, unangebracht zu kommentieren oder sogar unbegründet abzusprechen."
Der Senat hat zu Informationszwecken die Adoptionsakte des Amtsgerichts Mitte (51 XVI 2/06) beigezogen. In diesem Verfahren haben der Annehmende und dessen verstorbene Ehefrau - die Annehmende des vorliegenden Verfahrens - im Dezember 2006 die volljährige Tochter aus der (zweiten) Ehe zwischen dem Bruder des Anzunehmenden (= Herrn Dipl.-Ing. ... B.) und der Schwester der verstorbenen Annehmenden (= Frau ... B., geb. ...) als volljähriges Kind angenommen. Der Senat hat weiter die Akte des Amtsgerichts Pankow/Weißensee (20 F 2478/15) beigezogen: Auch bei diesem Verfahren handelt es sich um eine Adoptionssache. Der Annehmende und dessen verstorbene Ehefrau haben dort im März 2016 die volljährige Tochter aus der (ersten, im Jahr 1963 aufgelösten) Ehe zwischen der Schwester der verstorbenen Annehmenden (= Frau ... B., geb. ...) und ihrem (ersten) Ehemann (= Herrn ... P.) als volljähriges Kind angenommen.
II. 1. Die Rechtsmittel der Anzunehmenden und des Annehmenden gegen den Beschluss, mit dem der Antrag auf Annahme als Kind zurückgewiesen wurde, ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG; vgl. Sternal/Giers, FamFG [21. Aufl. 2023], § 197 Rn. 22) und auch im Übrigen zulässig (§§ 59 Abs. 2, 63, 64, 65 FamFG).
2. In der Sache selbst haben die beiden Beschwerden indessen keinen Erfolg. Denn ...