Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsstand für quasivertragliche Schuldverhältnisse betr. Straßenreinigung und Müllentsorgung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gerichtsstand des § 29 ZPO ist auch für quasivertragliche Schuldverhältnisse, die auf dem gesetzlichen Anschluss- und Benutzungszwang basieren, anwendbar (hier: Straßenreinigung und Müllentsorgung).
2. Gemeinsamer Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus solchen Schuldverhältnissen ist der Ort des belegenen Grundstücks
Normenkette
ZPO § 29
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 208 C 172/04) |
Tenor
Das AG Charlottenburg wird als das örtlich zuständige Gericht für die dort unter dem Aktenzeichen 208 C 172/04 an hängige Klage bestimmt.
Gründe
Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor. Allerdings ist - wie nachstehend auszuführen ist - bei dem AG Charlottenburg ein besonderer, die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an sich ausschließender gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) hinsichtlich aller Beklagter begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, die wiederum an die des BGH (BGH v. 1.2.2002 - V ZR 357/00, BGHReport 2002, 613 = MDR 2002, 658 = NJW 2002, 1426, m.w.N.) anknüpft, ist es der Sinn des § 36 ZPO jedoch, im Sinne der Verfahrensökonomie Streitigkeiten über die Grenzen der Zuständigkeiten der Gerichte vermeiden zu helfen und ggf. durch eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung Klarheit zu schaffen. Ohne eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat wäre zu befürchten, dass die Klägerin ein Sachurteil gegen die Antragsgegner nicht, jedenfalls aber nicht mit zumutbarem Aufwand erreichen könnte: Denn das AG Charlottenburg hat in seinem ausführlich begründetem Beschl. v. 16.7.2004 deutlich gemacht, dass es einen Gerichtsstand des § 29 ZPO nicht für gegeben erachtet. In einer solchen Situation gebietet es der Grundsatz der Prozessökonomie, in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Klarheit über das zuständige Gericht zu schaffen, und nicht etwa den Antragsteller darauf zu verweisen, die Rechtsauffassung des Gerichts nach Erlass eines Prozessurteils in einem Berufungsverfahren überprüfen zu lassen.
Dass ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO bei dem in Berlin Charlottenburg gelegenen Grundstück, für das die Klägerin Straßenreinigungsleistungen erbracht hat, begründet ist, ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten: Der Anwendungsbereich von § 29 ZPO ist nicht auf schuldrechtliche Verpflichtungsverträge, die durch ein privatrechtliches Angebot und Annahme zustande kommen, beschränkt. Ein "Vertragsverhältnis" i.S.d. § 29 ZPO ist, wie anerkannt ist, auch bei gesetzlichen Sonderbeziehungen anzunehmen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 29 Rz. 6), wenn diese ein Verhältnis von Rechten und Pflichten begründen, das einen vertragsähnlichen Typus hat. Bei dem gesetzlichen Schuldverhältnis auf Straßenreinigung bzw. Müllentsorgung, das aufgrund des gesetzlichen Anschluss- und Benutzungszwangs (KG GE 2004, 179) zustande kommt, ist dies der Fall. Denn die essentiellen Pflichten (Reinigungs- und Entsorgungspflicht einerseits, die Zahlungspflicht andererseits), die die Parteien zu erfüllen haben, unterscheiden sich von privatrechtlich vereinbarten Pflichten nicht wesentlich. Sie können mit gleichem Inhalt ohne weiteres auch in einem Werkvertrag nach § 631 BGB begründet werden.
Richtig weist das AG Charlottenburg darauf hin, dass es für die weitere Frage, wo der Erfüllungsort liegt, nicht auf den allgemeinen Charakter des Vertragsverhältnisses, sondern auf die jeweils mit der Klage konkret geltend gemachte Verpflichtung ankommt. Zutreffend ist auch, dass grundsätzlich die Zahlungsverpflichtung als eine sog. Schickschuld i.S.d. § 269 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 270 BGB an dem Ort zu erfüllen ist, an welchem der jeweilige Schuldner zur Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hat. Richtig ist aber auch, wie das AG Charlottenburg weiter darlegt, dass bei bestimmten Typen von Vertragsverhältnissen, bei denen der Schwerpunkt des Vertrages wegen der besonderen Ortsbezogenheit einer vertragstypischen Leistung an einem bestimmten Ort liegt, dieser als Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen anzusehen ist. Eine solche besondere Ortsbezogenheit, die den gesamten Vertrag einschließlich der Leistungspflichten des jeweiligen Grundstückseigentümers prägt, ist bei den hier in Rede stehenden Rechtsverhältnissen der Straßenreinigung und der Müllentsorgung anzunehmen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine solche besondere Ortsbezogenheit keinesfalls regelmäßig und auch nicht schematisch angenommen werden darf (KG v. 7.3.2003 - 28 AR 67/02, KGReport Berlin 2003, 230 f. - betreffend Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts). Vorliegend ist aber, wie die Klägerin zu Recht anführt, zu berücksichtigen, dass nicht nur der Stadtreinigungsbetrieb an dem Grundstück seine Hauptleistungspflicht zu erfüllen hat. Auch der Grundstückseigentümer und...