Leitsatz (amtlich)
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach RVG-VVNr. 2300 auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VVkommt nur in Betracht, wenn diese im Hauptverfahren tituliert oder der Anrechnungseinwand im Festsetzungsverfahren unstreitig ist (Klarstellung und Fortentwicklung zu KG, Beschl. v. 20.7.2005 - 1 W 285/05, KGReport Berlin 2005, 934).
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 258/06) |
Tenor
Der als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsbehelf der Klägerin vom 25.4.2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von bis zu 600 EUR zu tragen.
Gründe
1. Die gem. §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin am LG in der angefochtenen Entscheidung die beantragte 1,3-Verfahrensgebühr festgesetzt. Die Höhe der dem Rechtsanwalt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Gebühren bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses. Danach verdient der Rechtsanwalt im ersten Rechtszug eine 1,3-Verfahrensgebühr. Zutreffend hat das LG hiervon keinen Abzug gemacht.
Allerdings wird in der Rechtsprechung, jedenfalls für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die Auffassung vertreten, aus der Regelung in Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG, wonach eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr angerechnet werde, folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nicht die volle 1,3-Verfahrensgebühr gegen den unterlegenen Prozessgegner festgesetzt werden könne, wenn auf Seiten der obliegenden Partei zuvor eine Geschäftsgebühr angefallen ist (VGH München, 19. KG, NJW 2006, 1990 f., aufgegeben durch Beschl. v. 7.12.2006 - 19 C 06.2279 - sowie Beschl. v. 6.3.2007 - 19 C 06.2591 -, beide bei juris; Niedersächsisches OVG, AGS 2007, 377 f.; VG Minden, Beschl. v. 31.5.2007 - 10 K 1944/06. A - m.w.N., bei juris). Begründet wird diese Auffassung damit, dass der Wortlaut der Regelung in Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV eine andere Auslegung nicht zulasse. Zudem werde dem Rechtsuchenden im Verwaltungsprozess zugemutet, das behördliche Ausgangsverfahren auf eigene Kosten durchzuführen. Daher sei es nicht sinnwidrig, wenn er diese Kosten nicht auf die im gerichtlichen Verfahren unterlegene Gegenseite abwälzen könne (VG Minden, a.a.O.).
Demgegenüber hat der Senat mit Beschluss vom 20.7.2005 (KGReport Berlin, 2005, 934) der Sache nach entschieden, dass die obsiegende Partei nicht allein deshalb, weil auf ihrer Seite bereits eine Geschäftsgebühr angefallen ist, daran gehindert ist, gegen den unterlegenden Prozessgegner die Verfahrensgebühr in voller Höhe im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen. Daran hält der Senat nach nochmaliger Prüfung im Grundsatz fest.
Sinn und Zweck der Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV ist es, den Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar und insbesondere auch davor zu schützen, dass der Rechtsanwalt allein im Hinblick auf seinen Vergütungsanspruch ein gerichtliches Verfahren einleitet (VGH München, 4. KG, NJW 2007, 170 f., OVG NW v. 25.4.2006 - 7 E 410/06, NJW 2006, 1991; VGH Kassel, NJW 2006, 1992 f.).
Wie das gesamte RVG, so betrifft auch die Regelung in Anl. 1 Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 ihrem Sinn und Zweck nach nur das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten (ebenso Schons NJW 2005, 3089, 3091; Schneider, NJW 2007, 2001, 2006; wohl auch Hansens, RVGreport 2006, 311; derselbe RVGreport 2005, 392, 393, RVGreport 2007, 121, 122). Normzweck des RVG ist es demgegenüber nicht, die Erstattungsforderung der obsiegenden Partei zu begrenzen. Diese richtet sich hier nach den Grundsätzen des § 91 ZPO. Danach sind der Partei die "Kosten des Rechtsstreits" zu erstatten, soweit sie notwendig sind. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts sind nach § 91 Abs. 2 ZPO stets zu erstatten. Zu diesen gehört die Verfahrensgebühr - soweit sie erwachsen ist - in der sich aus RVG-VV 3100, 3101 ergebenden Höhe auch dann, wenn sie sich im Verhältnis zum Mandanten durch Anrechnung einer zuvor entstandenen außergerichtlichen Geschäftsgebühr (RVG-VV 2400, jetzt: RVG-VV 2300) nach Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV vermindert. Materiell-rechtliche Einwendungen - zu denen die Anrechnung der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die zu erstattende Verfahrensgebühr gehört - sind im Kostenfestsetzungsverfahren nur dann beachtlich, wenn sie unstreitig oder evident sind, was etwa dann anzunehmen ist, wenn die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch in voller Höhe tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist.
Jedenfalls für den Bereich des Zivilprozesses ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die unterlegene Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten haben soll, weil der Rechtsanwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Ges...