Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschiebungshaft bei Minderjährigen

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abschiebungshaft bei Minderjährigen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 10.06.2004; Aktenzeichen 84 T 286/04)

AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 04.05.2004; Aktenzeichen 70-XIV 1005/04 B)

 

Tenor

Der Beschluss der Zivilkammer 84 des LG Berlin vom 10.6.2004 - Az. 84 T 286/04 B - und der Beschluss des AG Schöneberg vom 4.5.2004 - Az. 70-XIV 1005/04 B - werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Verlängerung von Abschiebungshaft durch den vorgenannten Beschluss des AG rechtswidrig war.

Das Land Berlin hat der Betroffenen die in den drei Instanzen zu ihrer Rechtsverteidigung notwendigen entstandenen außergerichtlichen Kosten betreffend die vorgenannte Haftanordnung zu erstatten.

 

Gründe

Durch Ablauf des vom AG mit Beschl. v. 4.5.2004 festgesetzten Haftzeitraumes nach Einlegung der gem. §§ 22 Abs. 1, 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG i.V.m. §§ 3 S. 2, 7 Abs. 1 und 2 FEVG und § 103 Abs. 2 S. 1 AuslG zulässigen sofortigen weiteren Beschwerde ist eine Erledigung der Hauptsache eingetreten (BGH v. 19.10.1989 - V ZB 13/89, BGHZ 109, 108 [110] = MDR 1990, 230). Dem hat die Betroffene in verfahrensrechtlich gebotener Weise dadurch Rechnung getragen, als sie einen An-trag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt hat (BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, NJW 2002, 2456).

Das Rechtsmittel führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung. Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist bei einem entsprechenden Antrag die Entscheidung des LG (OLG Hamm Bt Prax 2001, 212). Diese ist rechtsfehlerhaft ergangen (§ 546 ZPO i.V.m. § 27 FGG).

Die Betroffene war zum Zeitpunkt der Haftanordnung sechzehn Jahre alt. Ihr Alter ist erst mit Schriftsatz des Antragstellers vom 12.7.2004 im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens in Zweifel gezogen worden. Ungeachtet dessen, dass es sich dabei um einen neuen Vortrag handelte, erachtet der Senat diesen für nicht hinreichend, um davon auszugehen, dass die Betroffene zum maßgeblichen Zeitraum bereits volljährig war. Angesichts der Bestellung eines Amtsvormundes durch das AG Köpenick mit Datum vom 16.4.2004 (Geschäftsnummer: 50 VII J 324) hätte es dazu eingehenderer Darlegungen als hier erbracht worden sind, bedurft.

Der Senat folgt nunmehr der Auffassung, die die OLG Köln (OLG Köln, Beschl. v. 11.9.2002 - 16 Wx 614702 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; Beschl. v. 5.2.2003 - 16 Wx 247/02, OLGReport Köln 2003, 193 = JMBl. NW 2003, 129 = NVwZ-beil. 2003, 48), Braunschweig (OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.9.2003 - 6 W 26/03) und Frankfurt (OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.8.2004 - 20 W 245/04, OLGReport Frankfurt 2004, 409, ferner bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang) in neueren Entscheidungen vertreten haben. Die Anordnung der Sicherung der Abschiebung durch Haft bei minderjährigen Ausländern kommt wegen der Schwere des Eingriffs ganz besondere Bedeutung zu.

Das OLG Köln hat dazu in der Entscheidung vom 11.9.2002 ausgeführt:

"(...) gerade Minderjährige werden von der Vollziehung einer Haftanordnung erheblich betroffen und können hierdurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Nach dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Verwaltungshandelns, der die Ausländerbehörde in jedem Fall zwingt, das Abschiebungsverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben und unverzüglich die notwendigen Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen, ist die Verwaltungsbehörde im Falle der Minderjährigkeit darüber hinaus verpflichtet, alle Möglichkeiten zu prüfen, die auf mildere und weniger einschneidende Weise die beabsichtigte Abschiebung sichern zu können. Dies gilt nicht erst seit dem Erlass des Innenministers vom 17.7.2002 zur Ergänzung der Richtlinien zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft vom 25.4.1996, sondern folgt unmittelbar aus der Verfassung. Mildere Mittel zur Vermeidung der Abschiebehaft könnten die Unterbringung in Jugendeinrichtungen, Meldeauflagen, räumliche Beschränkungen des Aufenthaltsortes u.ä. sein. Dass derartige mildere Mittel von der Verwaltung geprüft wurden und warum sie im Einzelfall nicht in Betracht kommen, ist von der Verwaltung bereits in ihrem Haftantrag ausführlich darzustellen. Da-zu genügt es nicht, dass ein vom Betroffenen selbst genanntes milderes Mittel als untauglich qualifiziert wird. Fehlt es an einer solchen ausführlichen Darlegung, ist davon auszugehen, dass die Verwaltung die erforderliche Prüfung unterlassen hat und dass daher die Haftvoraussetzungen derzeit nicht vorliegen (...)."

Dem schließt sich der Senat an.

Der Antragsteller hat hier keinerlei entsprechende Darlegungen erbracht. Im Hinblick darauf erweisen sich der Beschluss des LG und der Beschluss des AG als unverhältnismäßig.

Da die Voraussetzungen für einen Haftantrag danach (von Anfang an) fehlten, waren dem Land Berlin die entsprechenden Kosten aufzuerlegen, § 16 FEVG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1378881

InfAuslR 2005, 268

OLGR-Ost 2006, 115

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge