Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Absehens von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Inbegriffsrüge und Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung
2. Verpflichtung zur Darstellung eines potentiell rügefeindlichen Umstands
3. Von der Anordnung eines Fahrverbots beim Rotlichtverstoß kann abgesehen werden, wenn ein atypischer Fall vorliegt, bei dem der Erfolgsunwert verringert ist, insbesondere wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen gewesen ist oder eine Verkehrssituation vorliegt, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten.
4. Ein Augenblicksversagen kann bei einem "Frühstart" oder "Mitzieheffekt" vorliegen. Kein Augenblicksversagen ist anzunehmen, wenn ein ortskundiger Taxifahrer bei Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit eine bereits seit Längerem Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfährt, weil er diese überhaupt nicht wahrgenommen hat.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 17 Abs. 3, §§ 46, 66, 67 Abs. 2, § 79; StPO §§ 261, 344 Abs. 2, § 349 Abs. 2, § 473; StVG § 25; BKatV §§ 1, 4
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 14.12.2021; Aktenzeichen 298 OWi 618/21) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. Dezember 2021 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 19. April 2021 wegen eines (qualifizierten) Rotlichtverstoßes unter Berücksichtigung einer Voreintragung im Fahreignungsregister eine Geldbuße in Höhe von 230,00 Euro festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen, den sein Verteidiger in der - später ausgesetzten - Hauptverhandlung am 24. August 2021 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat ihn das Amtsgericht Tiergarten am 14. Dezember 2021 zu einer Geldbuße von 230,00 Euro verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, und eine Bestimmung über das Wirksamwerden des Fahrverbotes nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene Verletzung rechtlichen Gehörs, von Verfahrensvorschriften und des sachlichen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 15. März 2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die von Amts wegen zu prüfende Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig und wirksam.
Nach § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch auf bestimmte Beschwerdepunkte - darunter auf den Rechtsfolgenausspruch - beschränkt werden, wenn der zugrundeliegende Bußgeldbescheid die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG erfüllt. Dies ist hier der Fall. Der Bußgeldbescheid lässt den Schuldvorwurf des (qualifizierten) Rotlichtverstoßes und die ihn tragenden Tatsachen eindeutig erkennen. Zwar sind ihm keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform zu entnehmen. Dies steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung indessen nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass der - wegen einer Voreintragung erhöhte - Regelsatz des Bußgeldkatalogs verhängt worden ist, ist vielmehr zu folgern, dass dem Bußgeldbescheid die Annahme einer fahrlässigen Tatbegehung zugrunde liegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. November 2021 - 3 Ws (B) 288/21 -, vom 26. August 2020 - 3 Ws (B) 163/20 - und vom 6. März 2018 - 3 Ws (B) 73/18 -, beiden letzten juris).
In der Folge erwachsen der Schuldspruch und die dazu gehörenden Feststellungen - auch zu der vom Betroffenen verwirklichten Schuldform (hier Fahrlässigkeit) - in Rechtskraft, sind damit für das weitere Verfahren bindend und entziehen sich deswegen einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9. März 2022 - 3 Ws (B) 43/22 - und vom 6. Juni 2016 - 3 Ws (B) 286/16 -, juris).
2. Mit den Verfahrensrügen dringt der Rechtsmittelführer nicht durch.
a) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch das - soweit ersichtlich - behauptete Nichteingehen des Tatgerichts auf die Möglichkeit, von der Anordnung des Fahrverbotes gegen eine Erhöhung der Geldbuße abzusehen, ist nicht in einer nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Form erhoben und daher unzulässig.
Nach dieser Regelung muss die Rechtsmittelbegründung die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben, so dass das Gericht allein aufgrund der Beschwerdeschrift prüfen kann, ob - für den Fall, dass das Beschwerdevorbringen zutrifft - ein Ve...