Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen vom Fahrverbot wegen angedrohter Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
Das Absehen vom Fahrverbot wegen angedrohter Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann keinen Bestand haben, wenn der Tatrichter seine Feststellungen ausschließlich auf die durch ein verlesenes Schreiben des Arbeitsgebers untermauerten Angaben des Betroffenen stützt und die Urteilsgründe eine kritische Auseinandersetzung, ob sich seine Angaben im Ergebnis lediglich als durch das Fahrverbot bedingte berufliche Nachteile oder Unbequemlichkeiten darstellen, vermissen lassen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 323 OWi 1189/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Dezember 2015 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in B. hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen innerorts geltenden Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h eine Geldbuße von 160,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf seinen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch hat das Amtsgericht T. den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil zu einer Geldbuße von 320,00 Euro verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.
Aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheids ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene am Tattag, dem 19. Juni 2015, um 1.46 Uhr die BAB 100 (innerorts) in Richtung Süden/AS Innsbrucker Platz befuhr und hierbei die wegen einer Bausstelle auf 60 km/h beschränkte Geschwindigkeit fahrlässig nach Toleranzabzug um 37 km/h überschritt.
Das Amtsgericht ist den auf ein verlesenes Schreiben des Arbeitgebers gestützten Angaben des Betroffenen gefolgt, wonach ihm, dem Betroffenen, bei Anordnung eines Fahrverbotes der Arbeitsplatzverlust infolge Kündigung drohe. Denn er sei als angestellter Physiotherapeut auf seinen Führerschein angewiesen, weil er laut Arbeitsvertrag ausschließlich Hausbesuche absolviere, zu denen er schwere Massagebänke sowie andere Hilfsmittel transportieren müsse. Diese auswärtigen Termine könnten weder sein Arbeitsgeber "aus privaten und beruflichen Gründen" noch die anderen acht Angestellten "wegen fehlender Kenntnisse" oder "fehlendem Führerschein" wahrnehmen. Das Amtsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass "die Vollstreckung des Fahrverbotes unverhältnismäßig sei und für den Betroffenen aus beruflichen Gründen eine unzumutbare Härte bedeuten würde". Ergänzend sei der Zeitpunkt des Verstoßes "zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen."
Aufgrund dieser Erwägungen hat das Amtsgericht von der Verhängung des Fahrverbots abgesehen und die Geldbuße gegenüber der Regelgeldbuße verdoppelt. Hiergegen wendet sich die Amtsanwaltschaft mit der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird. Die Amtsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG zulässig, insbesondere ist die Rechtsbeschwerdebegründung nach §§ 73 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 1 StPO rechtzeitig eingegangen.
Zwar ist den Akten nicht zu entnehmen, wann das Urteil des Amtsgerichts durch Vorlage der Urschrift der Amtsanwaltschaft nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 41 StPO zugestellt worden ist, dies ist jedoch unschädlich, weil die Zustellung jedenfalls nicht vor dem 6. Januar 2016 erfolgt sein kann und die laut Kürzel am 21. Januar 2016 auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung der Amtsanwaltschaft vom 14. Januar 2016 ist jedenfalls rechtzeitig. Denn das Urteil ist mit den Gründen am 4. Januar 2016 zu den Akten gelangt und die Zustellungsverfügung des Richters hat die Geschäftsstelle am 6. Januar 2016 ausgeführt.
2. Die Sachrüge hat Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Senat lässt offen, ob die Beweiswürdigung revisionsrechtlich Bestand haben kann. Zweifel ergeben sich daraus, dass das Amtsgericht den Angaben des Betroffenen in Bezug auf die belastenden Auswirkungen des Fahrverbots gefolgt ist, ohne sie der hierbei angezeigten besonders kritischen Prüfung (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt VRS 127, 259) zu unterziehen. Dies hätte insbesondere im Hinblick auf die singuläre Betrachtung des auf den Führerschein aus beruflichen Gründen Angewiesenseins nahe gelegen (UA S. 2/3).
3. Denn jedenfalls rechtfertigen auch die als Ergebnis der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen nicht, vom Fahrverbot abzusehen.
a) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Vero...