Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält es für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass ein Kind, das nach einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung im Sinne des § 1600d Abs. 4 BGB von einer in gleichgeschlechtlicher Ehe lebenden Mutter geboren wird, kraft Gesetzes nur einen rechtlichen Elternteil hat.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 26.10.2020; Aktenzeichen 144 F 9900/20) |
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob § 1592 Nr. 1 BGB mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit ein Kind, das nach einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung im Sinne des §1600d Abs. 4 BGB von einer in gleichgeschlechtlicher Ehe lebenden Mutter geboren wird, kraft Gesetzes nur einen rechtlichen Elternteil hat.
Gründe
I. Das Verfahren betrifft die Feststellung der Elternschaft zwischen der Beteiligten zu 1. (im Folgenden: Kind) und der Beteiligten zu 3.
Die Beteiligte zu 2. (deutsche Staatsangehörige) und die Beteiligte zu 3. (luxemburgische Staatsangehörige) schlossen am ... 2018 vor dem Standesbeamten des Standesamtes ... von Berlin (Registernummer ...) die Ehe miteinander. Um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, entschieden sie sich, eine reproduktionsmedizinische Behandlung in einem Kinderwunschzentrum in der Weise durchzuführen, dass die Person des Samenspenders ihnen gegenüber unbekannt bleibt und der Samenspender auf alle Rechte aus der Elternschaft verzichtet. Sie schlossen im September 2019 einen Behandlungsvertrag zur ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung mit Dr. K im Kinderwunschzentrum "..." (gynäkologische Praxis unter der ärztlichen Leitung von Dr. ... (vgl. https://www...de). Die Praxis arbeitet mit der ... Bank in Kopenhagen zusammen. Von dort bezogen die beteiligten Eheleute die Samenspende.
Die Beteiligte zu 2. (im Folgenden: Mutter) gebar am ... 2020 Zwillinge, nämlich das hier betroffene Kind L. (Beteiligte zu 1.) und das Kind J.. Die Rechtsmittel in dem das Kind J. betreffenden Verfahren auf Feststellung der Elternschaft sind unter dem Aktenzeichen 3 UF 1123/20 beim Senat anhängig. Die Beteiligte zu 1. lebt im Haushalt der Eheleute und wird von ihnen gemeinsam zu gleichen Anteilen betreut. In der Geburtsurkunde des Kindes ist die Beteiligte zu 2. als Mutter des Kindes eingetragen. Das Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin lehnte eine Eintragung der Beteiligten zu 3. (im Folgenden: Ehefrau) als Mit-Mutter des Kindes ab.
Das Kind, die Mutter und die Ehefrau haben bei dem Familiengericht beantragt festzustellen, dass zwischen dem am ... geborenen Kind und der Ehefrau ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht.
Mit Beschluss vom 26. Oktober 2020 hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg (Familiengericht) die Anträge zurückgewiesen. Die Anträge seien nicht statthaft. § 169 Nr. 1 FamFG erfasse nur Abstammungssachen, welche "auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses, insbesondere der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Anerkennung der Vaterschaft" gerichtet seien. Das Gesetz bestimme zunächst in § 1591 BGB, wer die Mutter des Kindes sei, nämlich die Frau, die das Kind geboren hat. Es regele dann weiter, wer Vater des Kindes sei. § 1600d Abs. 1 BGB enthalte eine abschließende Regelung, wann die Vaterschaft gerichtlich festgestellt werden könne. Im Gesetz sei dagegen keine Vorschrift vorhanden, nach der die Mutterschaft festgestellt werden könne. Etwas Anderes folge auch nicht aus § 169 Abs. 1 FamFG. Dem Wortlaut dieser Vorschrift lasse sich nicht entnehmen, dass neben den im BGB geregelten Fällen weitere Abstammungsverfahren geschaffen werden sollten. Des Weiteren wäre der Antrag auch dann nicht statthaft, wenn man der Rechtsauffassung der Antragstellerinnen folge und eine analoge Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB in dieser Fallkonstellation bejahe. Denn dann wäre bereits die Beteiligte zu 3. kraft Gesetzes Elternteil des Kindes. Eine Feststellung nach § 169 Abs. 1 FamFG scheide dann - ebenso wie bei einer Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB - aus. Dies folge aus der Vorschrift des § 1600d Abs. 1 BGB. Danach könne eine Vaterschaft nur dann gerichtlich festgestellt werden, wenn keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB bestehe. Rechte der Antragstellerinnen würden nicht verletzt. Ihnen stehe der Weg offen, beim Standesamt eine Eintragung der Elternschaft zu erwirken und bei Ablehnung einer solchen Eintragung den Rechtsweg zu beschreiten.
Gegen diese - ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 9. November 2020 zugestellte - Entscheidung haben die Beteiligten zu 1. bis 3. mit Anwaltsschriftsatz vom 30. November 2020, am selben Tag beim Familiengericht eingegangen, Beschwerde eingelegt. Sie wenden sich gegen die Rechtsauffassung des Familiengerichts. Entgegen der Auslegung des Amtsgerichts seien ihre Anträge auf Feststellung der Elternschaft statthaft und auch im Übrigen begründet. Eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung erfordere in dieser Fallkonstellation eine analoge Anwendung...