Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungspflicht eines wartepflichtigen Verkehrsteilnehmers zu einer Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers wegen Geschwindigkeitsüberschreitung
Normenkette
StVO § 7 Abs. 5; StVG § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 58 O 355/07) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO).
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
1. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einer Quote von 100 % in Anspruch aus einem Verkehrsunfall vom 27.8.2007, der sich in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem unstreitigen Fahrstreifenwechsel rechts durch den Fahrer des Klägerfahrzeugs ereignet hat.
Das LG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, gegen den Fahrer des Klägerfahrzeugs spräche der Anscheinsbeweis, dass dieser seinen besonderen Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen sei, den die Klägerin nicht habe ausräumen können; ein unfallursächliches Mitverschulden des Beklagten habe sich nicht feststellen lassen, da die Klägerin nicht zur Unfallursächlichkeit der von ihr behaupteten Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten von mindestens 80 km/h hinreichend vorgetragen habe, so dass darüber auch kein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sei.
2. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:
a) Die Auffassung der Klägerin, das LG sei zu Unrecht von einem Anscheinsbeweis zu ihren Lasten ausgegangen, wird vom Senat nicht geteilt.
(1) Der Kläger hat schon keine Umstände vorgetragen, die geeignet wären, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Nach der Unfallschilderung der Klägerin selbst war das nicht der Fall.
Denn - wie das LG auf S. 4 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat - belegt die Kollision, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug des Unfallgegners übersehen hat.
Bereits in der Durchführung des Fahrstreifenwechsels trotz des heranfahrenden Beklagtenfahrzeuges lag dessen Gefährdung. Jedenfalls wurde der Toyota A2 RAV 4 der Klägerin im Bereich der gesamten rechten Fahrzeugseite beschädigt (S. 4 des klägerischen Privatgutachtens), also zu dem Zeitpunkt als Andreas Gram in den vom Beklagtenfahrzeug befahrenen Fahrstreifen hat wechseln wollen.
Danach war eine Gefährdung des Beklagtenfahrzeugs gerade nicht ausgeschlossen; Schätzungsfehler hinsichtlich des Abstands des bevorrechtigten Fahrzeugs gehen zu Lasten des Wartepflichtigen (vgl. nur Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 8 Rz. 57).
(2) Die Klägerin meint, das LG habe bei der "Beweiswürdigung" die "nahe liegende allein- bzw. mitverschuldensbegründende Sachverhaltsvariante, nach der der Berufungsbeklagte sein Fahrzeug mit weit überhöhter Geschwindigkeit führte", völlig außer Acht gelassen und ihren Fahrer diesbezüglich nicht als Zeugen vernommen. Auch diese Rüge verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG dürfen nur unfallursächliche Tatsachen berücksichtigt werden; dies gilt auch für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2003 - VI ZR 161/02, NJW 2003, 1929; KG, Urt. v. 17.1.2000 - 12 U 6678/98, NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260; Urt. v. 21.6.2001 - 12 U 1147/00, NZV 2002, 79 = DAR 2002, 66 = KGReport Berlin 2002, 2).
Macht der Wartepflichtige eine Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geltend, so muss er darlegen und beweisen, dass der andere sich infolge der überhöhten Geschwindigkeit außer Stand gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder genügend Zeit hatte, sich auf das Verhalten des Wartepflichtigen einzustellen (st. Rspr., vgl. KG, Urt. v. 22.7.2002 - 12 U 9923/00, NZV 2003, 378 = KGReport Berlin 2003, 20 = VM 2003,26 Nr. 28; Urt. v. 14.11.2002 - 12 U 140/01, KGReport Berlin 2003, 235 = VRS 105, 104 = NZV 2003, 575; Beschlüsse vom 21.9.2006 - 12 U 41/06 - VRS 112, 90 = NZV 2007, 306, vom 15.1.2007 - 12 U 205/06 - VRS 113, 28 = SP 2007, 315 = NZV 2007, 524, vom 1.6.2007 - 12 U 2/07, KGReport Berlin 2008, 136 sowie vom 27.8.2007 - 12 U 141/07 - zfs 2008, 258 = KGReport Berlin 2008, 538).
Für einen solchen Beweis hat die Klägerin schon nicht die erforderlichen Tatsachen behauptet; insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des LG (UA 5)...