Leitsatz (amtlich)
Das Rechtsfahrgebot dient nur dem Schutz der Verkehrsteilnehmer, die sich in Längsrichtung auf derselben Fahrbahn bewegen, nicht aber auch dem Schutz derer, die erst in diese Fahrbahn einbiegen wollen.
Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Fahrbahn der vom Vorfahrtberechtigten genutzten Vorfahrtstraße.
Ist der Vorfahrtberechtigte nicht hinreichend weit rechts gefahren, führt dies zu einer erhöhten Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs;
Allein diese erhöhte Betriebsgefahr kann im Rahmen der Abwägung gem. § 17 StVG zu einer Mithaftung nach einer Quote von ¼ führen und zwar auch im Verhältnis zu einem Grundstücksausfahrer.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 506/05) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.
1. Die Beklagten machen auf S. 2 f. ihrer Berufungsbegründung geltend, nach ihrer Ansicht sei nicht bewiesen, dass der Zeuge Hoffmann mit dem Lkw so weit links gefahren sei, dass zum linken Bordstein nur wenig mehr als 1m Abstand vorhanden gewesen sei.
Dies verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Beweiswürdigung des LG nicht zu beanstanden.
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269; vgl. auch KG [22. ZS],KG v. 3.11.2003 - 22 U 136/03, MDR 2004, 533 =KGReport Berlin 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rz. 13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rz. 3, 5).
b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das LG sich gehalten. Auf die Erwägungen des LG auf S. 9 sowie auch schon auf S. 5-7 des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Allein daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des LG.
Der Senat ist hinsichtlich des Beweisergebnisses derselben Auffassung wie das Erstgericht.
Zutreffend hat das LG insb. hervorgehoben, dass die Angaben des Zeugen H, der hinter dem BSR-Fahrzeug gefahren ist, den Aussagen der Zeugen P und T (Fahrer des klägerischen Fahrzeugs) entspricht (UA 9).
Auch wenn Schätzungen von Entfernungen und Abständen durch Zeugen grundsätzlich kritisch zu würdigen sind, erscheinen hier die Angaben plausibel, zumal sie übereinstimmen.
Die Auffassung der Beklagten (S. 3 der Berufungsbegründung), das klägerische Fahrzeug müsse sich noch in Bewegung befunden haben, als die Zugmaschine die spätere Unfallstelle passierte, ist mit den Angaben aller Zeugen nicht zu vereinbaren.
Selbst der Führer des Lkw der Erstbeklagten hat dies so nicht ausgesagt, sondern vom "stehenden VW" gesprochen und als er "an ihm vorbeifuhr, sah ich im Rückspiegel, dass er auf die Fahrbahn fährt und er ist dann gegen meinen Anhänger geraten".
Abgesehen davon, dass sich aus der Aussage H ergibt, dass er so weit links gefahren sein muss, dass er im Rückspiegel den linken Straßenrand hat sehen könne...