Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Verbotenes "Einzelkraftfahrzeugrennen")
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß.
2. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richtet sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.
3. Die Tatbestandsmerkmale des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB.
4. Bei der "Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht" muss sich die Zielsetzung des Täters darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist.
5. Im Rahmen der Beweiswürdigung kann eine valide Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeit ausreichen.
6. Anwendbarkeit der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB im Jugendstrafrecht.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 2; StGB §§ 69, 69a, 315d Abs. 1 Nr. 3; StPO §§ 261, 267 Abs. 3 S. 1, § 335 Abs. 1, § 344 Abs. 2, § 349 Abs. 2, § 473; JGG §§ 7, 10, 54, 55 Abs. 1, §§ 74, 105, 109 Abs. 2; StVO § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 06.01.2022; Aktenzeichen (456 Ds) 235 Js 3676/21 (70/21) Jug) |
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. Januar 2022 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 6. Januar 2022 wegen verbotenen ("Einzel"-)Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gesprochen, sie angewiesen, einen Verkehrserziehungskurs nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe abzuleisten, ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine sechsmonatige Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet.
Den Verkehrserziehungskurs hat die Angeklagte laut der Mitteilung der zuständigen Jugendgerichtshilfe vom 21. Februar 2022 bereits am 17. Februar 2022 absolviert. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der (Sprung-)Revision, die sie auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt. Die Revision führt zur allgemeinen Sachrüge aus, dass insbesondere die amtsrichterlichen Feststellungen weder ein rücksichtsloses Verhalten der Angeklagten noch die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, tragen würden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 31. März 2022 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) ist statthaft, denn sie richtet sich vornehmlich gegen den Schuldspruch des angegriffenen Urteils, so dass die Rechtsmittelbeschränkung des §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 109 Abs. 2 JGG keine Anwendung findet.
In der Sache hat die rechtzeitig eingelegte und begründete Revision jedoch keinen Erfolg.
1. Soweit die Revision die Verletzung formellen Rechts rügt, ist die Verfahrensrüge schon nicht in der vorgeschriebenen Form ausgeführt, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, der die Zurückverweisung der Sache gebietet.
a) § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß. Die Norm ist insbesondere mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 BvL 1/20 -, juris; vgl. auch Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -, juris).
b) Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennen nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Nach dieser Regelung macht sich strafbar, wer sich Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Februar 2021 - (3) 161 Ss 26/21 (13/21) -, juris und vom 20. Dezember 2019 a.a.O.).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
aa) Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen ist, ist entsch...