Leitsatz (amtlich)
Der Beschluss des BGH v. 22.1.2008 - VIII ZB 57/07 - hat die Rechtslage nicht geklärt. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde weiterhin erforderlich.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 22 O 312/07) |
Tenor
Die Sache wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.
Gründe
Die Sache ist gem. § 568 Satz 2 ZPO dem Senat zu übertragen, da die zu entscheidende Rechtsfrage trotz des kürzlich ergangenen Beschlusses des BGH v. 22.1.2008 - VIII ZB 57/07 - nach Auffassung des Einzelrichters weiterhin ungeklärt und die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen ist. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine nochmalige Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Einzelrichter vermag den Gründen des Beschlusses des BGH, soweit sie die hier zu entscheidenden Rechtsfragen betreffen, nicht zu folgen.
Der BGH führt aus, im Falle der Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gemäß Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV entstehe die nach Nr. 3100 RVG-VV anfallende Verfahrensgebühr von vornherein nur in gekürzter Höhe; dies sei bei der Kostenfestsetzung auf den Einwand des Erstattungsschuldners zu berücksichtigen.
Dem gegenüber hat der erkennende Senat entschieden (Beschl. v. 17.7.2007 - 1 W 256/07, AGS 2007, 439), dass die Anrechnung lediglich dann zu einer Verkürzung der vom Prozessgegner zu erstattenden Verfahrensgebühr führt, wenn dieser auch zur Erstattung der anzurechnenden Geschäftsgebühr verpflichtet ist, und dass dieser - materiell-rechtliche - Einwand bei der Kostenfestsetzung nur zu berücksichtigen ist, wenn die Verpflichtung bereits gegen den Prozessgegner tituliert oder unstreitig von ihm erfüllt worden ist. Den Ausführungen des BGH ist entgegen zu halten:
1. Die in Vorbem. 3 Abs. 4 angeordnete Anrechnung führt nicht dazu, dass lediglich eine verkürzte Verfahrensgebühr nach VV 3100, 3101 zur Entstehung gelangt. Die Gebühr entsteht in der für ihren Tatbestand im Vergütungsverzeichnis bestimmten Höhe, § 2 Abs. 2 RVG. Ob sie in dieser Höhe festgesetzt werden kann, hängt davon ab, ob die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei der Kostenfestsetzung berücksichtigt wird. Dies ist für die Kostenfestsetzung im Zivilprozess zu verneinen.
Die Verfahrensgebühr nach VV 3100, 3101 RVG entsteht nach Vorbem. 3 Abs. 2 im gerichtlichen Verfahren für das Betreiben des Geschäfts. Auch die Geschäftsgebühr nach VV 2300 ff. entsteht nach Vorbem. 2.3 Abs. 3 für das Betreiben des Geschäfts bei der außergerichtlichen Vertretung des Auftraggebers. Die Anrechnungsvorschriften in diesen und den vergleichbaren Fällen (außer Vorbem. 3 Abs. 5 und 6 vgl. etwa VV 2303, 2503 Anm. 2, 3100 Anm. 3, 3101 Anm. 1) tragen dem Umstand Rechnung, dass in aufeinander folgenden, aber nach § 15 Abs. 1 und 2 RVG selbständig abzurechnenden Angelegenheiten jeweils Gebühren für das Betreiben des Geschäfts entstehen, die einen deckungsgleichen Aufwand abgelten. In der Regel wird die Anrechnung der bereits entstandenen auf die in der nachfolgenden Angelegenheit entstehende Gebühr angeordnet.
Die Anrechnung betrifft nur das Gebührenaufkommen eines Rechtsanwalts für seine Tätigkeit in mehreren Angelegenheiten eines Auftraggebers, § 7 Abs. 1 RVG. Werden jeweils verschiedene Anwälte oder wird ein Anwalt auf Rechnung verschiedener Auftraggeber tätig, kann eine Anrechnung nicht erfolgen. Die Anrechnung der Gebühren aufeinander setzt ein gemeinsames Abrechnungsverhältnis voraus. Für die Kostenfestsetzung folgt daraus, dass die Anrechnung nur solche Gebühren betrifft, die dem Gegner im Rahmen der ihm mitzuteilenden Kostenberechnung (§ 103 Abs. 2 Satz 2 ZPO) aufgegeben werden können. Eine Geschäftsgebühr, die der Festsetzung nicht unterliegt, ist bei der Kostenfestsetzung auch nicht im Wege der Anrechnung zu berücksichtigen. Sie betrifft ein Abrechnungsverhältnis, das nicht Gegenstand der Kostenfestsetzung ist. Die hieraus hergeleitete - materiell-rechtliche - Einwendung ist nur ausnahmsweise zu berücksichtigen.
2. Dass der BGH die Festsetzungsfähigkeit sowohl der ungekürzten Verfahrensgebühr als auch der anzurechnenden Geschäftsgebühr verneint, erscheint widersprüchlich.
Festzusetzen sind nach § 91 ZPO die der obsiegenden Partei erwachsenen Kosten des Rechtsstreits, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dass auch vorprozessuale Maßnahmen - wie Mahnung, Abmahnung auf der Klägerseite, Anspruchsabwehr, Schutzschrift auf Beklagtenseite - sachdienlich und zur Erzielung des vollen Prozesserfolgs sogar notwendig (vgl. § 93 ZPO) sein können, sollte nicht bezweifelt werden. Fraglich ist hingegen die Prozessbezogenheit eines vorprozessual auf die Prozessvermeidung gerichteten Aufwandes. Ein solcher Aufwand ist jedenfalls nach Vorbem. 3 Abs. 3 durch die neu geschaffene Terminsgebühr zu vergüten, wenn dem Anwalt ein unbedingter Prozessauftrag erteilt wurde (BGH,...