Leitsatz (amtlich)

Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen.

Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat.

In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein.

Bei einem typischen Auffahrunfall dagegen spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den von hinten Auffahrenden, der grundsätzlich allein und in voller Höhe haftet.

Ein typischer Auffahrunfall wird regelmäßig dadurch verursacht, dass ein nachfolgendes Fahrzeug auf die gesamte Heckpartie eines in demselben Fahrstreifen vorausfahrenden oder haltenden Fahrzeugs auffährt; Entsprechendes gilt bei bloßer Teilüberdeckung der Stoßflächen der im gleichgerichteten Verkehr befindlichen Fahrzeuge, weil sich hintereinander fahrende Fahrzeuge auf der überschließenden Breite eines Fahrstreifens unterschiedlich einrichten.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 21.12.2001; Aktenzeichen 24 O 442/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.12.2001 verkündete Urteil des LG Berlin – 24 O 442/00 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung ist erfolglos. Im Ergebnis zu Recht hat das LG die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ausgleich des vollen Schadens verurteilt, den der Kläger bei der Kollision seines Mercedes am 8.2.2000 mit dem BMW des Beklagten zu 2) auf der B.-straße erlitten hat. Das Berufungsvorbringen der Parteien gibt keine Veranlassung, die Sache anders zu entscheiden.

A. Beruht ein Unfall für keinen der Beteiligten auf einem unabwendbaren Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG, bestimmt sich die Haftung nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Beteiligten, §§ 17, 18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Bei der Bildung der Haftungsquote werden allerdings nur bewiesene Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.

B. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haften die Beklagten in vollem Umfang für den Unfallschaden des Klägers. Der Unfall war für keinen Beteiligten ein unabwendbares Ereignis. Die Beklagten haben weder den für ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2) als Fahrstreifenwechsler sprechenden Anscheinsbeweis erschüttert noch ein Verschulden des Klägers bewiesen. Das Verschulden des Beklagten zu 2) überwiegt die Haftung des Klägers aus Betriebsgefahr vollständig.

I. Der Unfall war für keinen Beteiligten unabwendbar i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG a.F.

1. Unabwendbar mit der Folge eines Haftungsausschlusses nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein unfallursächliches Ereignis, wenn es durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, also die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, StVG, 36. Aufl., 2001, § 7 Rz. 30, m.w.N.).

2. Der Beklagte zu 2) hat nicht behauptet, die Kollision sei für ihn unabwendbar gewesen. Soweit der Kläger sich erstinstanzlich auf eine Unabwendbarkeit berufen hat, rechtfertigt sein Sachvortrag dies nicht. Er hat ausgeführt, der Beklagte sei – für ihn völlig überraschend – nicht nur vom linken Fahrstreifen in seinen – rechten – Fahrstreifen auf der G.-straße herübergefahren, sondern habe ihn dann gleichsam „ausgebremst” (Bl. 65 d.A.). Er hat jedoch nicht dargelegt, dass und in welcher Weise er selbst die für eine Unabwendbarkeit erforderliche äußerste Sorgfalt gewahrt hat – etwa durch umfassende Beobachtung der anderen Verkehrsteilnehmer, so dass seine Haftung wegen der Betriebsgefahr des Mercedes nicht von vornherein ausgeschlossen ist.

II. Es spricht ein Anscheinsbeweis unfallursächlichen Verhaltens gegen den Beklagten zu 2), denn eine hinreichende Zahl von Indizien begründet die Überzeugung des Senats, dass dieser in unmittelbarem zeitlichen und örtlichem Zusammenhang mit der Kollision den Fahrstreifen gewechselt hat.

1. Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat (KG VerkMitt...

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