Leitsatz (amtlich)
Zur (Mit-)Haftung des Halter eines Fahrzeug, das unfallbedingt auf der Autobahn auf Stand- und rechtem Fahrstreifen liegen bleibt und nur teilweise gesichert ist, für einen Auffahrunfall anderer Fahrzeuge, die sich bei Annäherung an die Unfallstelle ihrerseits sorgfaltswidrig verhalten haben.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 42 O 88/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14. August 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 42 des Landgerichts Berlin unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ein Drittel sämtlicher Schäden und Aufwendungen zu erstatten, die ihr anlässlich der Regulierung des unfallbedingten Schadens des Geschädigten ... anlässlich des Verkehrsunfalls vom 18. November 2013 auf der Bundesautobahn 20 auf Höhe Greifswald entstanden sind oder entstehen werden.
Es wird ferner festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von Schadensatzforderungen zu einem Drittel freizustellen, die von ihr dem Geschädigten ..., der Berufsgenossenschaft ... aus übergegangenem Recht oder der Deutschen Rentenversicherung Bund aus übergegangenem Recht anlässlich des vorgenannten Verkehrsunfalls zu erbringen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.
Gründe
I. Wegen der tatbestandlichen Feststellungen, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der getroffenen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Berlin Bezug genommen.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Anträge weiter (bei der Datierung auf den 18.12.2013 handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler). Sie ist der Ansicht, das Verhalten des Fahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs sowie das des Geschädigten lasse den haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Erstunfall und dem Auffahrunfall nicht entfallen.
Der Beklagte begehrt Zurückweisung der Berufung. Er verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Berufungsangriffe.
II. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Feststellungsanträge sind gemäß § 256 ZPO zulässig.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich gegen den Beklagten für die von ihr gegenüber dem Geschädigten... erbrachten Leistungen stellt ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO dar.
Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich zum einen daraus, dass angesichts der Schwere der Verletzungen des Geschädigten die Geltendmachung weitere Schäden gegenüber der Klägerin nicht nur wahrscheinlich - was ausreichend wäre (vgl. z.B. BGH MDR 2007,792 m.w.N) -, sondern mehr als naheliegend ist. Der Umstand, dass Teilforderungen gegenüber dem Beklagten bereits beziffert werden könnten, steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen. Wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren (BGH VI ZR 506/14, NJW-RR 2016, 759).
Zum anderen besteht ein Feststellungsinteresse ausnahmsweise trotz möglicher Leistungsklage dann, wenn ein Feststellungsurteil zur endgültigen Streitbeilegung führt, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass der Beklagte bereits auf das Feststellungsurteil hin leisten wird (vgl. Zöller/Greger, 33. Aufl., § 256 ZPO Rn. 7d mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Davon ist insbesondere gegenüber einer Versicherung auszugehen (BGH NJW 1999, 3774). Einer solchen ist der Beklagte angesichts der ihm zukommenden Regulierungsaufgaben gleichzustellen.
2. Der Beklagte haftet der Klägerin dem Grunde nach auf 1/3 der Kosten, die diese für die Schäden des Herrn ... aufzuwenden hatte oder künftig aufzuwenden hat. Hinsichtlich der künftig entstehenden Schäden kann sie in dieser Höhe auch Freistellung von Ansprüchen der Berufsgenossenschaft und des Rentenversicherungsträgers verlangen. Denn die Belastung mit einer entsprechenden Verbindlichkeit ist ein gemäß § 249 Abs. 1 BGB durch Freihaltung zu ersetzender Schaden (vgl. z.B. BGH I ZR 257/03, VersR 2007, 1539).
a) Der Beklagte haftet der Klägerin nicht gemäß §§ 6 Abs. 1 AuslPflVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG. Seine Einstandspflicht besteht danach in dem Umfang, in dem auch ein Versicherer im Inland Direktansprüchen ausgesetzt wäre. Eine Direkthaftung ist für Regressansprüche selbst haftpflichtiger Schädiger gegen ihnen zum Ausgleich verpflichtete Mitschädiger aber nicht gegeben. Das Pflichtversicherungsgesetz und die Gewährung des Direktanspruchs dienen dem Schutz von Unfallopfern, nicht dem von Schädigern. Letztere si...