Leitsatz (amtlich)

1. Der Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrages (Untersuchungen während der Schwangerschaft auf Fehlbildungen des Kindes) erfasst – nachdem der Gesetzgeber die embryopatische Indikation aus dem Gesetz (§ 218a StGB) gestrichen hat – nicht mehr den Unterhaltsaufwand der Eltern für ihr behindert geborenes Kind, sondern ausschließlich die Gesundheit der Mutter, sodass Ersatz des Unterhaltsschadens nicht verlangt werden kann.

2. Ein etwaiger Unterhaltsersatzanspruch stünde jedem Elternteil jeweils in Höhe des Regelbetrages zu. Ein behinderungsbedingter Mehrbedarf wäre daneben gesondert zu ermitteln.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 249; StGB § 218c

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 6 O 466/98)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 05.07.2003; Aktenzeichen I ZR 203/02)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin das am 27.11.2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 6 des LG Berlin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.d. jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schmerzensgeld sowie Unterhaltsschaden wegen der Geburt ihrer (ehelichen) Tochter am 10.9.1997. Sie wirft dem Beklagten vor, er hätte deren Fehlbildung – die Tochter ist mit einer offenen Spina bifida im lumbosacralen Bereich (lumbo = Lenden; sacrum = Kreuzbein [unterhalb des Lendenbereichs]) geboren worden – anlässlich der von ihm seit dem 6.5.1997 (19. Schwangerschaftswoche, im Folgenden: SSW) durchgeführten Sonografien erkennen müssen, sodass sie die Schwangerschaft rechtzeitig hätte abbrechen können.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort gestellten Anträge sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat durch am 27.11.2000 verkündetes Urteil der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 4.000 DM (statt mindestens 10.000 DM) und des Unterhaltsbedarfs von 7.955 DM sowie des Betreuungsaufwands von 36.607 DM jeweils für die Zeit von Oktober 1997 bis Oktober 2000 (insgesamt 44.562 DM statt 225.730 DM) verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz des zukünftigen Unterhaltsschadens (statt sämtlicher materieller Zukunftsschäden) verpflichtet sei. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Beklagte begehrt mit seiner Berufung die Klageabweisung. Die Klägerin begehrt mit ihrer Anschlussberufung die Zahlung von weiteren 175.353 DM als Betreuungsaufwand und zum Feststellungsausspruch die Erweiterung hinsichtlich des Unterhaltsbedarfs auf den Betreuungsaufwand. Klagerweiternd berechnet sie nunmehr für Oktober 1997 bis Oktober 2000 einen höheren Pflegebedarf und macht den Unterhaltsschaden auch für die Zeit von November 2000 bis November 2001 geltend, weshalb Feststellung nur noch ab Dezember 2001 begehrt wird.

Der Beklagte macht geltend, das LG habe sich nicht mit der Stellungnahme von Prof. … vom 11.1.1999 auseinander gesetzt. Es hätte entweder eine klarstellende Anhörung oder ein Obergutachten veranlassen müssen. Der Gutachter Prof. … habe ausgeführt, er habe einen Spalt, also ein Symptom, übersehen, was zu weiteren diagnostischen Maßnahmen hätte führen müssen. Es habe aber daraus noch nicht positiv auf das Vorliegen einer Myelomeningocele geschlossen werden können. Grad und Ausmaß der Behinderung seien in der 19. SSW noch nicht absehbar gewesen. Schon deswegen hätten die Voraussetzungen des § 21 8a Abs. 2 StGB für einen Schwangerschaftsabbruch nicht vorgelegen. Die Kammer verkenne aber auch den Ausnahmecharakter der Norm. Der Beklagte weist darauf hin, dass der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Entscheidung des BVerfG die bloße Behinderung des Kindes nicht mehr ausreichen lasse, sondern es allein auf eine schwerwiegende, unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Schwangeren ankomme, die aus ärztlicher Sicht eine klare Interessenabwägung zu Gunsten der Schwangeren und gegen den Lebensschutz verlange. Dafür genüge nicht jede mögliche seelische Beeinträchtigung. Entsprechende Darlegungen der Klägerin fehlten. Eine Würdigung habe das LG nicht vorgenommen.

Zur Schmerzensgeldhöhe sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kaiserschnitt (sectio) eine Erhöhung rechtfertige.

Soweit sich das LG hinsichtlich des Unterhaltsaufwandes auf zwei Entscheidungen des BGH stütze, seien die Sachverhalte nicht vergleichbar. Der Beklagte meint ferner unter Berufung auf eine Entscheidung des LG Köln (LG Köln VersR 1999, 968), der Schutzzweck des Behandlungsvertrages sei auf das Erkennen von Fehlbildungen des Kindes gerichtet, um damit verbundene behinderungsb...

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