Entscheidungsstichwort (Thema)

Alleinhaftung des bei "Rot" die Fahrbahn betretenden Fußgängers bei Kollision mit Pkw; Verwendung eines Signalzeitenplans

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Fußgänger, der in der Rotphase der für ihn maßgebenden Fußgängerampel plötzlich auf die Fahrbahn läuft, ohne sich über den herannahenden Verkehr zu vergewissern, handelt in aller Regel grob fahrlässig (so auch OLG Hamm NZV 2002, 325; OLG Köln VersR 1976, 1005; KG, Urt. v. 29.6.1989 - 12 U 2779/88; vgl. auch BGH VersR 1961, 357 f.).

Daran ändert sich nichts, wenn die Fußgängerampel für die Gegenfahrbahn bereits grünes Licht zeigte.

Steht nicht fest, in welcher Entfernung der beklagte Kfz-Führer sich vom Kollisionsort befand, als der Fußgänger die Fahrbahn betrat, fehlen hinreichende Anknüpfungstatsachen, so dass ein vom Kläger beantragtes Sachverständigengutachten kein geeignetes Beweismittel zur Feststellung einer Sorgfaltspflichtverletzung des Kraftfahrers ist.

Ein Überfahren der Haltelinie bei gelbem Ampellicht ist jedenfalls dann keine Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrzeugführers, wenn das Umschalten der Ampel erst so kurz vor Erreichen der Kreuzung erfolgt, dass der Bremsweg bei mittlerem Bremsen nicht ausreicht, um vor der Kreuzung zum Stehen zu kommen (vgl. Hentschel, 37. Aufl., StVO § 37 Rz. 48a).

Das Beiziehen des Signalzeitenplans durch das LG ohne ausdrücklichen Antrag einer Partei ist keine unzulässige Amtsermittlung, sondern gem. § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, wenn der Kläger seine Argumentation auf die Ampelschaltung stützt.

 

Normenkette

StVO § 25; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 11.10.2005; Aktenzeichen 17 O 607/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11.10.2005 verkündete Urteil des LG Berlin - 17 O 607/04 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Tatsächliche Feststellungen

Mit der Klage verlangt der Kläger Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 3.11.2003, 22.50 Uhr an der ampelgeregelten Kreuzung Karl-Marx-Allee Ecke Straße der Pariser Kommune ereignet hat.

Der Kläger überquerte als Fußgänger die Karl-Marx-Allee in der Fußgängerfurt bei für ihn rotem Ampellicht und wurde auf dem zweiten (aus seiner Gehrichtung gesehen) von vier Fahrstreifen von dem bei dem Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug des Beklagten zu 1. erfasst, mit dem dieser die Karl-Marx-Allee in westlicher Richtung befuhr. Mit der Klage verlangt der Kläger, der bei dem Unfall erheblich verletzt worden ist, ein Schmerzensgeld und Verdienstausfall auch in Form einer monatlichen Rente, weil der Unfall ursächlich dafür sei, dass er bereits im 62. Lebensjahr und nicht erst mit Ablauf des 65. Lebensjahres in den Ruhestand habe gehen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, der Anträge und der Begründung der Entscheidung erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit dem das LG die Klage abgewiesen hat.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Er macht geltend, das LG habe den Sachverhalt einschließlich der erhobenen Beweise sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht teils unzureichend teils unzutreffend gewürdigt.

Das LG sei zu Unrecht nicht von der Richtigkeit des Vorbringens des Klägers ausgegangen, der Beklagte zu 1. habe die Verkehrssituation falsch eingeschätzt und nicht sachgerecht reagiert, weil er beim Erblicken des Klägers erst gehupt und dessen Reaktion abgewartet hätte, bevor er mit dem Bremsen des Fahrzeuges begonnen habe. Da der Beklagte zu 1. noch Zeit zum Hupen gehabt habe, der Kläger, der die Fahrbahn schnell und mit großen Schritten überquert habe, beim Zusammenprall bereits - was unstreitig ist - die Mitte des zweiten Fahrstreifens erreicht hatte und ihn das Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1. von links erfasst habe, könne der Kläger nicht völlig unvermittelt auf die Fahrbahn getreten sein. Auch stehe der Würdigung des LG, der Beklagte zu 1. habe eine Vollbremsung vorgenommen, die Aussage des Zeugen F., die im Übrigen nicht widerspruchsfrei sei, entgegen. Außerdem habe das LG nicht berücksichtigt, dass der Beklagte zu 1. in den rechten Fahrstreifen hätte ausweichen und den Unfall so vermeiden können und diese Möglichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezogen habe.

Die Auffassung des LG sei unzutreffend, ein Autofahrer könne an einem ampelgeregelten Überweg darauf vertrauen, dass kein Fußgänger bei Rot die Fahrbahn betrete. Da der Gesetzgeber einen Schutz von Fußgängern als schwachen Verkehrsteilnehmern vorsehe, könne diesen vielmehr ein Anspruch aus § 7 StVG nicht wegen eines Mitverschuldens gänzlich verloren gehen. Es sei nicht zutreffend, dass die Betriebsgefahr hier völlig ...

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