Nach der Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 1a BImSchG soll ein vom Regelfall des Satzes 1 der Vorschrift abweichender Sonderfall nur vorliegen, wenn besondere Umstände gegeben sind, z. B. die Kinderbetreuungseinrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu sensiblen Nutzungen wie etwa Krankenhäusern oder Pflegeanstalten gelegen sind, oder sich die Einrichtungen nach Art und Größe sowie Ausstattung in Wohngebiete und die vorhandene Bebauung nicht einfügen.

 
Praxis-Beispiel

Übermäßige Fremdnutzung eines Kinderspielplatzes

Ein Sonderfall in diesem Sinne kann nach Gerichtsmeinung auch dann angenommen werden, wenn ein Kinderspielplatz im Vergleich zur Nutzung durch Kinder des angrenzenden Wohngebiets übermäßig und intensiv durch Kinder einer benachbarten Ganztagsschule genutzt wird. Denn durch die intensivere Fremdnutzung in so einem Fall wird nach Meinung des Gerichts der Zusammenhang zwischen Wohngebiet und dem "dafür" eingerichteten Kinderspielplatz sowie das darauf beruhende Toleranzgebot gelockert.[1]

 
Wichtig

Toleranzgebot auch bei Sonderfall

Auch in einem derartigen Sonderfall ist jedoch nach Meinung des Gerichts zu berücksichtigen, dass Kinderlärm ganz grundsätzlich unter einem besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft steht, sodass auch hier gemäß § 22 Abs. 1a Satz 2 BImSchG zur Beurteilung der Kindergeräusche Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden dürfen.

 
Praxis-Beispiel

Kinderhort ohne bestimmtes Betriebskonzept

In einem reinen Wohngebiet, in dem bereits eine Kinderbetreuungseinrichtung besteht und eine weitere Einrichtung erheblich ausgebaut werden soll, kann die entsprechende Baugenehmigung versagt werden, wenn der Antrag unbestimmt ist und die nachbarschützenden Belange nicht genügend berücksichtigt sind. In dem zu entscheidenden Fall lag das klägerische Grundstück zwischen zwei Kindereinrichtungen mit 164 Betreuungsplätzen. Eine der beiden Kindereinrichtungen beantragte eine Nutzungsänderung und Erweiterung von Kindergarten zu Hort. In der Betriebsbeschreibung zur Baugenehmigung wurde u.a. die Freiflächennutzung als "sporadisch" beschrieben. Dies war dem Gericht zu unbestimmt, denn diese Bezeichnung lässt jegliche Angaben zu Ausmaß und Dauer der Freiflächennutzung fehlen. Insgesamt wurde das gesamte Betriebskonzept für unbestimmt erklärt und die Baugenehmigung aufgehoben: "§ 22 Abs. 1a BImSchG soll nach seinem eindeutigen Wortlaut Geräuscheinwirkungen, die durch Kinder hervorgerufen werden, privilegieren. Hingegen soll gerade nicht der Betrieb einer Kindertagesstätte ohne hinreichend konkretes Betriebskonzept ermöglicht werden, das die besondere Situation vor Ort im konkreten Einzelfall nicht berücksichtigt und nicht geeignet ist, Lärmentwicklungen zu vermeiden, die gerade nicht auf sozialadäquaten Kinderlärm zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf eine unzureichende Betriebsorganisation oder laute Spielgeräte".[2]

[1] Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 16.5.2012, 8 A 10042/12, Rn. 49, im Rahmen der Güterabwägung verneinte das Gericht jedoch einen atypischen Sonderfall in dem zu entscheidenden Fall.
[2] VG München, Urteil v. 19.03.2018, M 8 K 16.4726.

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