Rz. 68
Eine überhöhte Minderung oder die vollständige Zahlungseinstellung durch den Mieter wegen eines Mangels des Mietobjekts birgt für den Mieter die Gefahr, dass der Vermieter nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 kündigt. Stellt sich dann im Kündigungsrechtsstreit heraus, dass der Mieter nicht oder jedenfalls nicht in der vorgenommenen Höhe zur Mietminderung berechtigt war, kann das für den Mieter zum Verlust der Wohnung führen. § 543 Abs. 2 Nr. 3 setzt allerdings Verzug des Mieters voraus, der nach § 286 Abs. 4 allerdings Verschulden erfordert.
Für die Annahme eines Verschuldens reicht Fahrlässigkeit, d. h. Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1), aus. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss der Mieter bei der Beurteilung der Minderung auch die "Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung durch die Gerichte in Betracht" ziehen (BGH, Urteil v. 1.6.1983, IVb ZR 389/81, NJW 1983, 2321). Der Mieter trägt also das Risiko, die Sach- und Rechtslage fehlerhaft eingeschätzt zu haben (vgl. BGH, Urteil v. 25.3.1982, III ZR 198/80, NJW 1984, 1030). Insoweit muss er sich über § 278 auch das Verschulden von Erfüllungsgehilfen anrechnen lassen, wie z. B. von Mietervereinigungen (vgl. zur fehlerhaften Beratung durch einen Mieterschutzverein hinsichtlich des Umfangs eines Zurückbehaltungsrechts BGH, Urteil v. 25.10.2006, VIII ZR 102/06, GE 2007, 46). In der Instanzrechtsprechung wird die Überschätzung des Mieters beim Mieteinbehalt wegen Minderungsrechts etwas "weitherziger" beurteilt (vgl. z. B. LG Karlsruhe, Urteil v. 22.3.1990, 5 S 563/89, WuM 1990, 294; LG Berlin, Urteil v. 10.1.1992, 64 S 167/91, NJW-RR 1992, 518; LG Berlin, GE 1994, 1381; LG Görlitz, Urteil v. 28.9.1994, 2 S 48/94, WuM 1994, 601; LG Hannover, Urteil v. 15.4.1994, 9 S 211/93, WuM 1994, 463). Der BGH hat jedoch in jüngster Zeit (Urteil v. 11.7.2012, VIII ZR 138/11, GE 2012, 1161) seine Rechtsprechung aus 2006 bestätigt. Der eine fristlose Kündigung begründende Zahlungsverzug entfalle nicht wegen fehlenden Verschulden des Mieters, wenn dieser bei Anwendung verkehrsüblicher Sorgfalt hätte erkennen können, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des von ihm in Anspruch genommenen Minderungsrechts nicht bestehen. Für den Mieter besteht der sichere Weg, die Miete unter Vorbehalt voll zu bezahlen und den durch das Minderungsrecht begründeten Differenzbetrag zurückzufordern. Er läuft in diesem Fall nicht Gefahr, in einen zur Kündigung berechtigenden Rückstand zu geraten (so auch ausdrücklich BGH VIII ZR 138/11).