1 Leitsatz
Wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Verwalter hat, sind die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich zu deren Vertretung berechtigt. Die Wohnungseigentümer vertreten die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auch passiv, insbesondere auch bei Zustellungen im Rahmen eines Rechtsstreits. Bei einer Zustellung an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer genügt die Zustellung an einen Wohnungseigentümer.
2 Normenkette
§§ 28 Abs. 2 Satz 2, 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG
3 Das Problem
K klagt gegen die zunächst verwalterlose Gemeinschaft der Wohnungseigentümer B, die Jahresabrechnung 2017 aufzustellen. Wohnungseigentümer S tritt der B auf Seiten der B bei und tritt der Klage entgegen. Er meint, die Klage sei unzulässig, weil es an einer Vorbefassung der Versammlung fehle. Es sei ferner "evident treuwidrig", dass K die mangels Existenz des zur Umsetzung erforderlichen Verwalters "wehrlose" und handlungsunfähige Gemeinschaft verklage, ohne sich mit seinem Anliegen zunächst an die Versammlung zu wenden. Jedenfalls sei die gegen die verwalterlose Gemeinschaft erhobene Klage unbegründet. Das AG verurteilt B zur Erstellung einer Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2017 und zu deren Übersendung an K. S wendet sich mit seiner Berufung gegen das Urteil. Die Klage sei nicht wirksam zugestellt worden, da die Zustellung an ihn nicht genüge. Die Klage sei unzulässig, jedenfalls unbegründet, weil B während der Zeit der Verwalterlosigkeit handlungsunfähig sei.
4 Die Entscheidung
Die Berufung hat keinen Erfolg! Wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Verwalter habe, seien die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich zu deren Vertretung berechtigt (§ 9b Abs. 1 Satz 2 WEG). Die Wohnungseigentümer verträten die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auch passiv, insbesondere bei Zustellungen im Rahmen eines Rechtsstreits. Bei einer Zustellung an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer genüge die Zustellung an einen Wohnungseigentümer. Ob die Ansicht, die Erhebung einer Leistungsklage gegen eine verwalterlose Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei wegen Treuwidrigkeit unzulässig, zutreffend sei, müsse nicht geklärt werden. Denn zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz sei für die Beklagte eine Verwaltung bestellt gewesen. Die Klage sei auch nicht wegen fehlender Vorbefassung unzulässig. Das Vorbefassungsgebot gelte lediglich im Rahmen einer Beschlussersetzungsklage. Die Jahresabrechnung als Zahlenwerk sei jedoch kein Beschluss. Rechne die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht ab, sei eine Beschlussersetzungsklage nicht möglich. Der jeweilige Wohnungseigentümer müsse die Gemeinschaft vielmehr im Wege der Leistungsklage in Anspruch nehmen. Auf diese finde das Vorbefassungsgebot keine Anwendung. Die Klage sei auch begründet. K stehe gegen B aus § 18 Abs. 1 WEG ein Anspruch auf Aufstellung einer Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2017 zu.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es materiell um die Frage, ob ein Wohnungseigentümer aus § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Aufstellung einer Jahresabrechnung hat. Die Frage bejaht das LG mit der ganz herrschenden Meinung (siehe nur BGH, Urteil v. 19.4.2024, V ZR 167/23). Die prozessuale Frage ist, ob eine Leistungsklage, die gegen die verwalterlose Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet ist, einem einzelnen Wohnungseigentümer zugestellt werden kann, obwohl § 9b Abs. 1 Satz 2 WEG eine Gesamtvertretung anordnet.
Zustellung an einzelne Gesamtvertreter
Im Prozessrecht genügt nach § 170 Abs. 3 ZPO bei mehreren gesetzlichen Vertretern oder Leitern die Zustellung an einen von ihnen. Im Wohnungseigentumsrecht ist es nicht anders. Der entsprechende Wohnungseigentümer muss dann die anderen Gesamtvertreter über die Zustellung informieren.
Klageart
Die Jahresabrechnung wird nicht beschlossen. Ein Wohnungseigentümer kann daher keine Beschlussersetzungsklage erheben. Er muss auf die Leistung klagen. Will die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer den Verwalter zwingen, eine Jahresabrechnung aufzustellen, ist es nicht anders. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wird dann nach § 9b Abs. 2 WEG oder § 9b Abs. 1 Satz 2 WEG vertreten.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Die Verwaltung muss sich um das Prozessrecht nicht besonders bemühen. Sie muss aber wissen, dass sie namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verpflichtet ist, eine Jahresabrechnung aufzustellen. Die Verpflichtung ist grundsätzlich bis zum 30.6. eines Jahres zu erfüllen. Der Anspruch eines Wohnungseigentümers auf Aufstellung einer Jahresabrechnung dürfte nicht verjähren. Daher kann auch eine neue Verwaltung in die Pflicht kommen, Jahre abzurechnen, in denen sie noch nicht im Amt war. So ist es beispielsweise im Fall.
6 Entscheidung
LG Stuttgart, Urteil v. 3.1.2024, 10 S 33/22