Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiskraft einer Zustellungsurkunde

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Zustellungsurkunde, in der vermerkt ist, dass das Schreiben in dem zum Geschäftsraum zugehörigen Briefkasten eingelegt worden sei, hat keine erhöhte Beweiskraft nach § 415 ZPO, wenn der Zusteller einräumt, dass er sich allein auf das Gangbuch der Q verlässt und die entsprechende Rubrik auch dann ankreuzt, wenn der Empfänger in dieser internen Arbeitsanweisung verzeichnet, der Briefkasten jedoch unbeschriftet ist.

 

Normenkette

HGB § 335; ZPO § 415

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde wird die unter dem 23.11.2009 getroffene Ordnungsgeldentscheidung einschließlich der darin festgesetzten Zustellungskosten aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von 2.500,00 Euro wegen verspäteter Einreichung der Jahresabschlussunterlagen 2006 bei dem Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers. Das Bundesamt für Justiz hat der Beschwerdeführerin die Verhängung des Ordnungsgeldes mit Verfügung vom 27.02.2008, angeblich zugestellt - ausweislich der Zustellungsurkunde - am 01.03.2008, angedroht.

Das Bundesamt für Justiz hat durch die angefochtene Entscheidung vom 23.11.2009 das bezeichnete Ordnungsgeld festgesetzt.

Gegen die ihr am 25.11.2009 zugestellte Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 03.12.2009 (Eingang) sofortige Beschwerde eingelegt. Sie behauptet, dass sie die Androhungsverfügung nicht erhalten habe. Der Firmensitz sei schon zuvor von F nach W verlegt worden, es habe zu diesem Zeitpunkt keinen Briefkasten mehr unter der bezeichneten Anschrift gegeben.

Das Gericht hat den Zusteller, den Zeugen H, im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht N vernehmen lassen. Auf das Vernehmungsprotokoll vom ##.##.2011 (### AR #####/####) wird Bezug genommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.

II.

Die gemäß §§ 335 Abs. 4, Abs. 5 S. 1 und 4 HGB statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Das Bundesamt hat das Ordnungsgeld zu Unrecht festgesetzt, denn es ist nicht ordnungsgemäß angedroht worden. Das Gericht ist nicht mit hinreichender Gewissheit davon überzeugt, dass die Androhungsverfügung vom 27.02.2008 wirksam zugestellt worden ist. Die materielle Beweislast (Feststellungslast) hierfür liegt bei dem Bundesamt. Dieses hat den erforderlichen Beweis nicht erbracht. Insbesondere konnte es den Beweis nicht mit der Zustellungsurkunde vom 01.03.2008 führen, denn diese Zustellungsurkunde hat - abweichend von § 415 ZPO - keine erhöhte Beweiskraft.

Grundsätzlich erbringt allerdings eine Urkunde über die förmliche Zustellung den vollen Beweis dafür, dass sich der Zustellungsvorgang so abgespielt hat wie in der Urkunde angegeben. Insofern ist die Urkunde eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO; denn der Zusteller wird in diesem Zusammenhang gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 PostG als beliehener Hoheitsträger tätig, nimmt also bei der Zustellung und der Errichtung der Urkunde hierüber eine hoheitliche Tätigkeit vor. Wenn daher vermerkt ist, dass das Schreiben in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei, beweist dies, dass das Schreiben tatsächlich in einen Briefkasten eingelegt worden ist, der in irgendeiner Weise äußerlich erkennbar dem Empfänger zugehörig ist - wenngleich sich die Beweiskraft nicht darauf erstreckt, dass sich die Geschäftsräume tatsächlich an diesem Ort befinden (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 06.09.2005 - 5 W 71/05 -).

Vorliegend fehlt jedoch diese besondere Beweiskraft der Urkunde. Denn der Zusteller, der Zeuge H, hat in seiner Einvernahme bekundet, dass er erkennen könne, ob ein Empfänger bei der Adresse vorhanden sei, weil der Name des Empfängers mit der Hausnummer an dem entsprechenden Fach in der Sortierstelle der Q stehe und zudem auch in dem "Gangbuch" vermerkt sei, welches "eine Art Index" darstelle und in dem die Gangfolge der Verteilung festgelegt sei. Ausdrücklich hat er ausgeführt: "Wenn ich eine Firma als Empfänger habe und im Gangbuch drinsteht, dass die dort vorhanden ist, und am Briefkasten nichts dran steht, dann vermerke ich, dass ich das in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingeworfen habe".

Damit hat der Zeuge eingeräumt, dass er die Zustellungsurkunden fehlerhaft ausfüllt. Denn er überprüft überhaupt nicht, ob - wie vorliegend angekreuzt - der Briefkasten zum Geschäftsraum des Empfängers gehört; vielmehr verlässt er sich ungeprüft auf das Gangbuch der Q, d.h. auf einen internen, selbst aufgestellten Verteilungsplan. Wenn darin eine Firma als vorhanden vermerkt ist, wirft er förmliche Zustellungen auch dann in den Briefkasten ein, wenn dieser keine Beschriftung hat, und kreuzt im Formular an, dass der Briefkasten zu dem Geschäftsraum des Empfängers gehöre. Damit steht fest, dass die angekreuzte Zeile "zum Geschäftsraum" o...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge