Leitsatz (amtlich)
Zur Eigentümerversammlung ist der werdende Wohnungseigentümer an Stelle des noch im Grundbuch eingetragenen teilenden Eigentümers einzuladen, da allein der werdende Wohnungseigentümer stimmberechtigt ist. Auch steht ihm allein das Recht zur Beschlussanfechtung zu.
Verfahrensgang
AG Kassel (Urteil vom 19.12.2019; Aktenzeichen 800 C 24/19) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 19.12.2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 8.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Gegenstand der Berufung sind die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1, 2, 3, 4, 6 und 7, gefasst auf der Eigentümerversammlung vom 28.11.2018, zu welcher statt der Klägerin (Bauträgerin) die Eheleute … eingeladen wurden, an welche die Klägerin eine Wohnungseigentumseinheit verkauft und übergeben hatte und zu deren Gunsten vor der Versammlung auch eine Auflassungsvormerkung eingetragen worden war.
Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
Im Ergebnis hat das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Unabhängig der Fragen, ob hinter der Nichteinladung böswillige Absicht steckte oder welche Partei die Kausalität zwischen Ladungsmangel und Beschlussfassung darlegen und beweisen muss, konnte die Klage schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin nicht einzuladen war. Allein die Eheleute … als werdende Eigentümer waren Stimmberechtigte und als solche zu laden.
Die Frage, wem in den Eigentümerversammlungen das Stimm- und Anfechtungsrecht zusteht – dem Veräußerer, dem werdenden Wohnungseigentümer oder analog § 25 Abs. 2 S. 2 WEG beiden gemeinschaftlich – war umstritten (BeckOK WEG/Müller, Maximilian A., 42. Ed. 1.8.2020, WEG § 10 Rn. 60 mit einer Vielzahl von Nachweisen). Der Bundesgerichtshof, dessen Auffassung sich die Kammer anschließt, hat den Streit dahingehend entschieden, dass dem werdenden Wohnungseigentümer Stimm- und Anfechtungsrecht allein zustehen, da er wie ein Eigentümer zu behandeln ist und an dessen Stelle tritt (BGH, Urt. v. 11. 5. 2012 – V ZR 196/11 = NZM 2012, 643 Rn. 18; s.a. BGH, Urt. v. 14.2.2020 – V ZR 159/19 = NZM 2020, 563, Rn. 8). Der Bauträger verliert damit das Stimm- und Anfechtungsrecht (BGH, Urt. v. 11.12.2015 – V ZR 80/15 = NZM 2016, 266, Rn. 13).
Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nun auch in § 8 Abs. 3 WEG n.F. kodifiziert (vgl. Palandt, 80. Aufl. 2021, § 8 WEG Rn. 8; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 4 Rn. 284).
Ein Verbleib beim oder ein Rückfall zum Veräußerer kann auch nicht angenommen, wenn – wie hier – der Veräußerer den werdenden Eigentümer im Veräußerungsvertrag widerruflich bevollmächtigt, „alle Rechte eines Eigentümers wahrzunehmen”, diese Vollmacht dann aber widerruft. Denn das auf den werdenden Eigentümer übergehende Stimm- und Anfechtungsrecht ist das Gegenstück zu der den werdenden Eigentümer treffenden Kosten- und Lastentragung (BGH, Urt. v. 11. 5. 2012 – V ZR 196/11 = NZM 2012, 643 Rn. 18; BGH, Urt. v. 11.12.2015 – V ZR 80/15 = NZM 2016, 266, Rn. 13). Durch den Widerruf der Vollmacht wird der der werdende Eigentümer aber nicht korrespondierend auch wieder von Kosten und Lasten befreit. Im Übrigen würde ein Abstellen auf kaufvertragliche Regelungen, die übrigen Wohnungseigentümern und Verwalter möglicherweise nicht bekannt sind, zu Rechtsunsicherheit führen. Dem werdenden Eigentümer kann durch eine schuldrechtliche Vereinbarung nicht der Schutz der vorgezogenen Anwendung des WEG-Rechts entzogen werden, welcher ihm auf Grund einer bereits erlangten dinglichen Rechtsposition gebührt.
Mithin ist der werdende Wohnungseigentümer an Stelle des noch im Grundbuch eingetragenen teilenden Eigentümers zur Eigentümerversammlung zu laden (Abramenko in: Jennißen, WEG, 6. Aufl. 2019, § 10 Rn. 168). Eine Ladung zur Eigentümerversammlung zur bloßen Teilnahme ohne Stimmrecht ist abzulehnen (BeckOK WEG/Müller, Maximilian A., 42. Ed. 1.8.2020, WEG § 10 Rn. 60.2), denn die Teilnahme von ohnehin nicht stimmberechtigten Personen verstieße – fern der hier nicht einschlägigen Ausnahme für zu Beratungszwecken hinzugezogenen Personen – gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Fundstellen
Dokument-Index HI14989826 |