Leitsatz (amtlich)

1. Ist für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling das Jugendamt als Vormund bestellt, erfordern ausländerrechtliche Fragen nicht die Bestellung eines Rechtsanwalts als Mitvormund.

2. Auch aus den Normen des EU-Rechts ergibt sich keine Verpflichtung zur Bestellung eines Rechtsanwalts.

3. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers ist unzulässig.

 

Normenkette

BGB § 1909 Abs. 1, § 1775 S. 2; EU-VO Nr. 604/2013 Art. 6 Abs. 2; EURL 32/2013 Art. 25; EURL 33/2013 Art. 24

 

Verfahrensgang

AG Aschaffenburg (Beschluss vom 20.04.2015; Aktenzeichen 1 F 569/15)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Stadtjugendamtes X gegen den Beschluss des AG - Familiengerichts - Aschaffenburg vom 20.4.2015 wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtlichen Kosten der Beteiligten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3000,00 Euro festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Betroffene ist in Marokko, A., geboren und in B. aufgewachsen. Er ist marokkanischer Staatsangehöriger. Seine Eltern sind in Marokko unbekannten Aufenthalts. Er ist am 00.00.2000 geboren. Er hat vor mehreren Monaten seine Heimat alleine verlassen und wurde am 08.04.2015 ohne gültige Fahrerlaubnis in einem Zug von der Bundespolizei aufgegriffen und dem Jugendamt der Stadt X übergeben. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Schutzstelle des S.-Hauses in N. befindet er sich nunmehr in einer Jugendgruppe in G.. Er will in Deutschland bleiben, hier die Schule besuchen und eine Lehre machen. Politisch verfolgt ist er nach seinen Angaben nicht.

Das AG - Familiengericht - Aschaffenburg hat mit Beschluss vom 20.04.2015, ohne den Jugendlichen vorher anzuhören, festgestellt, dass die elterliche Sorge ruht, Vormundschaft angeordnet und als Vormund das Stadtjugendamt X bestimmt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidung verwiesen.

Gegen die ihm am 22.04.2015 zugegangene Entscheidung wendet sich das Stadtjugendamt X mit seiner am 19.05.2015 beim AG Aschaffenburg eingegangenen Beschwerde, die als Sachgebiet "bestellte Amtsvormundschaft, § 1791b BGB" ausweist und von einer Beauftragten nach § 55 SGB XIII unterzeichnet ist. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass nach einer Entscheidung des OLG Bamberg (7. Senat) vom 07.01.2015 das Jugendamt nur insoweit als Amtsvormund zu bestellen sei, als es nicht um asyl- und ausländerrechtliche Fragen gehe. Insoweit sei ein Rechtsanwalt als Mitvormund zu bestimmen. Das Jugendamt könne ohne Spezialkenntnisse nicht beurteilen, welche Maßnahmen ausländerrechtlicher Art zu ergreifen seien und wie nach den Interessen des Mündels bestmöglichst zu handeln sei. Insoweit bedürfe es eines speziell ausgebildeten Fachanwalts. Das Stadtjugendamt X sei nicht in der Lage, dem bereits benannten Wirkungskreis gerecht zu werden. Es liege ein Eignungsmangel vor. Es sei deshalb ein weiterer Vormund, hilfsweise ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Rechtlich hat es sich auf die Entscheidung des OLG Bamberg vom 07.01.2015 (FamRZ 2015, 682-683) sowie des OLG Frankfurt vom 11.09.2014 (FamRZ 2014, 2015) berufen.

Nachdem der Senat auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2014, 472-473; 2014, 460) hingewiesen hat, wurde von der Beschwerde mit Schriftsatz vom 25.06.2015 weiter die Meinung vertreten, dass die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung und die Rechtsprechung des BGH gegen die Kindeswohlinteressen verstoße und nicht den EU-Richtlinien entspreche. Die von Art. 25 der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU verlangten Fachkenntnisse des Vormundes verlangten zwingend Kenntnisse im aufenthalts- und asylverfahrensrechtlichen Bereich. Bei wörtlicher Auslegung der Richtlinie müsse der bestellte Vertreter selbst über entsprechende Fachkenntnisse verfügen. Sofern der Vormund diese Fachkenntnisse nicht habe, müsse zumindest ein Ergänzungspfleger bestellt werden. Außerdem habe sich der BGH in seiner Entscheidung vom 29.05.2013 nicht mit der Auslegung des Art. 25 der bereits erwähnten Richtlinie auseinandersetzen können, da sie zum Zeitpunkt der Entscheidung am 26.06.2013 noch nicht in Kraft gewesen sei. Auch die weitere Entscheidung des BGH vom 04.12.2013 befasse sich in erster Linie mit Vergütungsfragen. Für die Betreuung der oft traumatisierten Jugendlichen sei vom Jugendamt eine Sozialpädagogin eingesetzt. Sie besitze jedoch nicht die erforderlichen ausländer- und asylrechtlichen Spezialkenntnisse. Die Möglichkeit der Gewährung von Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt stehe nur auf dem Papier. Wegen der geringen Honorierung sei die Beratungspraxis durch einen Rechtsbeistand rein theoretischer Natur.

Die Gerichte könnten sich bei der Auswahl und der Bestellung des Vormundes ihrer Aufgabe nicht dadurch entledigen, dass die Kommunalverwaltung verpflichtet würde, sich entsprechende anwaltliche Hilfe einzukaufen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 25.06.2015 Bezug genommen.

Der Senat hat den...

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