Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung einer Krankenversicherung durch den Versicherer; einstweilige Verfügung des Versicherten zur Feststellung der Verpflichtung des Versicherers, Behandlungskosten zu übernehmen
Leitsatz (amtlich)
1. Kündigt eine private Krankenversicherung die Verträge mit ihrem Versicherungsnehmer fristlos, kommt eine einstweilige Verfügung zur Feststellung der Verpflichtung des Krankenversicherers, die Kosten für eine vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu übernehmen, nur bei einer existenziellen Notlage und damit nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass der Versicherungsnehmer die Kosten einer lebenserhaltenden Behandlung nicht selbst tragen kann, die Behandlung als solche eilbedürftig ist und der Versicherer diese Kosten mit hoher Wahrscheinlichkeit wird erstatten müssen.
2. Eine solche Notlage ist dann nicht gegeben, wenn der Versicherungsnehmer im Basistarif krankenversichert ist.
Normenkette
BGB § 314 Abs. 1 S. 1; VVG n.F. § 206 Abs. 1 S. 1; ZPO § 522 Abs. 2, § 940
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1278/11) |
Tenor
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Verfügungsklägers aus den auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens für zutreffend gehaltenen Gründen der angefochtenen Entscheidung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Verfügungskläger erhält gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf EUR 33.600 festgesetzt.
Gründe
I. Der Verfügungskläger wehrt sich gegen eine fristlose Kündigung seiner bei der Verfügungsbeklagten bestehenden privaten Krankenversicherung.
Der Verfügungskläger, der 71 Jahre alt ist und sich wegen Bluthochdrucks bereits vor Jahren einer Bypass-Operation unterziehen musste, unterhielt bei der Verfügungsbeklagten eine private Krankheitskostenversicherung sowie eine Krankenhaustagegeldversicherung und eine Pflegepflichtversicherung. Mit Schreiben vom 6.6.2011 warf die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger vor, sich auf betrügerische Art und Weise Versicherungsleistungen erschlichen zu haben, indem er bei ihr Rechnungen des Arztes Dr. W. zur Erstattung eingereicht habe, denen nachweislich keine Behandlungen durch diesen zugrunde gelegen hätten. Unter Berufung auf Treu und Glauben kündigte die Verfügungsbeklagte deswegen alle bestehenden Verträge fristlos und stellte Schadensersatzforderungen in Aussicht. Tatsächlich hatte Dr. W. aufgrund erheblicher eigener gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr alle Behandlungen, die er dem Verfügungskläger und anderen Patienten in Rechnung gestellt und deren Kosten die Verfügungsbeklagte erstattet hatte, selbst durchgeführt. Wegen seiner gesundheitlichen Probleme hatte auch sein Sohn, Dr. M. bereits die Kassenarztpraxis übernommen, wohingegen er, Dr. W., nach Möglichkeit noch für die Privatpatienten tätig war. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt gegen Dr. W. wegen Abrechnungsbetruges, weil dieser seinen Patienten nicht erbrachte Leistungen berechnet habe und die Patienten sich die Rechnungsbeträge von der Krankenversicherung "erstatten" lassen und sodann mit Dr. W. geteilt hätten. Der Verfügungskläger hat sich zwischenzeitlich anderweitig zum Basistarif krankenversichert, diese Versicherung ist jedoch weniger umfassend; eine annähernd gleiche Versicherung wie bei der Verfügungsbeklagten wäre für den Verfügungskläger erheblich teurer.
Auf Antrag des Verfügungsklägers hat das LG mit Beschluss vom 19.7.2011 im Wege einer einstweiligen Verfügung festgestellt, dass die bei der Verfügungsbeklagten bestehenden Krankenversicherungen nicht infolge der fristlosen Kündigung unwirksam geworden sind, sondern fortbestehen. Hiergegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt.
Der Verfügungskläger hat behauptet, dass seinen zur Erstattung eingereichten Rechnungen immer Behandlungen durch die Praxis Dr. W. zugrunde gelegen hätten. Identischer Versicherungsschutz wie bei der Verfügungsbeklagten, den er aufgrund seiner Vorerkrankungen eigentlich benötige, würde ihn monatlich rund 2.762 EUR kosten; dies sei ihm finanziell effektiv nicht möglich.
Der Verfügungskläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung durch die Verfügungsbeklagte sei unwirksam. Denn zum einen sei Dr. W. berechtigt gewesen, Behandlungen abzurechnen, die sein Sohn Dr. M. als sein Vertreter durchgeführt habe. Außerdem sei er, der Verfügungskläger, auch nicht verpflichtet, sämtliche Rechnungen auf ihre Richtigkeit hin durchzusehen. Falls es auf seiner Seite aber dennoch zu Fehlern gekommen sein sollte, hätte ihn die Verfügungsbeklagte vor einer Kündigung des Vertragsverhältnisses auch zunächst darauf hinweisen müssen. Für den Fall einer Erkrankung benötige er eine sofortige Entscheidung über die Wirksamkeit der bisherigen Krankenversicherung; ein Abwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei ihm ohne ausreichenden Krankenversicherungsschut...