Entscheidungsstichwort (Thema)
Vaterschaftsanfechtung durch biologischen Vater
Leitsatz (amtlich)
Lebt der rechtliche Vater mit dem Kind nach dessen Geburt seit einem Jahr in häuslicher Gemeinschaft, wird dies zur Annahme einer sozial-familiären Beziehung i.S.d. § 1600 Abs. 4 BGB jedenfalls dann nicht genügen, wenn der nach seiner Behauptung biologische Vater sich seit der Geburt um die Übernahme der Vaterverantwortung bemüht.
Normenkette
BGB § 1600 Abs. 2, 4
Verfahrensgang
AG Bremerhaven (Beschluss vom 17.02.2010; Aktenzeichen 153 F 576/09) |
Tenor
Dem Kläger wird auf seine sofortige Beschwerde in Abänderung des Beschlusses des AG - Familiengericht - Bremerhaven vom 17.2.2010 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. L [...], bewilligt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Frage, ob bzw. wann zwischen den Beklagten, also zwischen dem Kind und seinem - aufgrund der erfolgten Vaterschaftsanerkennung - rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung i.S.d. § 1600 II, IV BGB besteht, kann im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nicht abschließend beurteilt werden. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt dürfte eine solche Beziehung noch nicht bestehen mit der Folge, dass der Kläger zur Anfechtung berechtigt ist. Soweit in § 1600 IV S. 2 BGB davon ausgegangen wird, dass eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung i.S.d. S. 1 dieser Bestimmung in der Regel vorliege, wenn der rechtliche Vater mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, so ist umstritten, welche Zeitdauer für ein "längeres Zusammenleben" verstrichen sein muss. Die dazu in der Literatur vertretenen Meinungen reichen von drei Monaten bis zu zwei Jahren (vgl. die Nachweise bei Helms, FamRZ 2010, 1, Fn. 44; offen gelassen von OLG Bremen, 5. Zivilsenat, 5 UF 2/10, Beschluss vom 24.3.2010), wobei unzweifelhaft maßgebend ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BGH FamRZ 2008, 1821; anders aber OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.2010 - 2 UF 69/08, FamRB 2010, 171, bei bewusster Verfahrensverzögerung). Höchstrichterlich entschieden ist die Frage nach der erforderlichen Zeitdauer noch nicht. Viel spricht dafür, jedenfalls in einer Fallgestaltung der vorliegenden Art einen Zeitraum von deutlich mehr als einem Jahr für erforderlich zu halten. Der vorliegende Fall ist zum einen dadurch gekennzeichnet, dass das Kind im April 2009 geboren und damit noch sehr klein ist, mit der Konsequenz, dass sich eine Beziehung zu der mit dem Kind zusammenlebenden männlichen Bezugsperson wohl noch nicht so schnell und intensiv entwickelt, wie bei einem etwas älteren Kind. Zum zweiten wird zu berücksichtigen sein, dass der Kläger sich alsbald nach der Geburt des Kindes um seine Anerkennung als Vater bemüht hat. Auch diese dokumentierte Bereitschaft des Klägers, als Vater für die Beklagte zu 1. zur Verfügung zu stehen, könnte dafür sprechen, einen eher längeren Zeitraum des Zusammenlebens von Kind und rechtlichem Vater zu verlangen, bis die Anfechtungssperre des § 1600 II BGB zum Zuge kommt.
Unabhängig davon wird im Hauptsacheverfahren zu erwägen sein, ob und ggf. wie den Bedenken Rechnung zu tragen ist, die in der Literatur gegen die gesetzliche Regelung - die der BGH grds. für verfassungskonform hält (FamRZ 2007, 538) - für den hier möglicherweise gegebenen Fall vorgebracht werden, dass ein biologischer Vater nach der Geburt zur Übernahme der Vaterverantwortung bereit ist, ihm dies aber dadurch verwehrt wird, dass die Mutter eine sozial-familiäre Beziehung mit einem anderen Mann aufbaut, der die Vaterschaft anerkennt (vgl. dazu Helms/Kieninger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis [FamRZ-Buch 33], 2010, Rz. 129; Helms, FamRZ 2010, 1, 6 f.).
Vorsorglich hingewiesen wird darauf, dass entgegen der Ansicht des Familiengerichts der Kläger die Beweislast für das Nichtvorliegen einer sozial-familiären Beziehung trägt (BGH FamRZ 2007, 538, 540). Ggf. wird zur Frage, ob der Beklagte zu 2. tatsächliche Verantwortung für die Beklagte zu 1. übernommen hat und sie ausübt, im Rahmen der für das vorliegende Verfahren geltenden Amtsermittlungspflicht (BGH FamRZ 2008, 1821) ein Bericht des Jugendamtes einzuholen sein (vgl. MünchKomm/Wellenhofer, BGB, 5. Aufl., § 1600 Rz. 13).
Fundstellen
FamRZ 2010, 1822 |
NJW-RR 2011, 80 |
FamRB 2010, 302 |