Leitsatz (amtlich)
1. Jede Übertragung von Aufgaben des Rechtsanwalts auf das Büropersonal entlastet diesen nur dann von der Pflicht zu eigenständiger Prüfung, wenn er sich zuvor von der Zuverlässigkeit des Personals überzeugt hat.
2. Überträgt der Rechtsanwalt Tätigkeiten in Fristsachen, hat er sicherzustellen, dass die beauftragte Person über die Bedeutung der Fristen, den bevorstehenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung zuverlässig unterrichtet ist.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 19.06.2001; Aktenzeichen 1 O 2673/00b) |
Nachgehend
Tenor
1. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Bremen – 1. Zivilkammer – vom 19.6.2001 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag sowie die Kosten der Berufung.
Gründe
Die Klägerin hat gegen das ihr am 21.6.2001 zugestellte Urteil des LG Bremen vom 19.6.2001 am Freitag, dem 20.7.2001 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist beim Hanseatischen OLG in Bremen am Dienstag, dem 21.8.2001 eingegangen.
Auf den Hinweis des Vorsitzenden des 1. Zivilsenats vom 3.9.2001, dass die Rechtsmittelbegründungsschrift verspätet bei Gericht eingegangen sei und die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen werden solle (Bl. 127 d.A.), hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.9.2001 (Bl. 134 ff. d.A.) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 11.9.2001 vorgetragen, nach Einlegung der Berufung am 20.7.2001 sei die Berufungsbegründungsfrist auf den 16.8.2001 notiert worden; die Notierung der Berufungsbegründungsfrist zwei Arbeitstage vor dem tatsächlichen Fristablauf entspreche einer generellen Anweisung im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
Den Berufungsbegründungsschriftsatz habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Herr Rechtsanwalt Dr. H., seiner Sekretärin, Frau H. am 20.8.2001 nachmittags gegen 16.45 Uhr übergeben mit der Anweisung, die Berufungsbegründung im Anschluss an die Bürotätigkeit in den Nachtbriefkasten des Hanseatischen OLG in Bremen einzuwerfen. Frau H. habe gegen 17.30 Uhr den Berufungsbegründungsschriftsatz auf der Postausgangsstelle des Rechtsanwaltsbüros in einen Briefumschlag gesteckt, sodann ein längeres privates Gespräch geführt und anschließend das Büro ohne den Briefumschlag mit der Berufungsbegründung verlassen. Am nächsten Tag, dem 21.8.2001, habe die für den Postausgang zuständige Mitarbeiterin den Umschlag mit der Berufungsbegründung vorgefunden und per Boten zu Gericht bringen lassen.
Frau H. sei von „1998 bis 2001” im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte ausgebildet worden. Rechtsanwalt Dr. H. habe sowohl die Fristnotierung als auch die Botengänge von Frau H. in Stichproben geprüft; Beanstandungen habe es nicht gegeben.
Rechtsanwalt Dr. H. hat diese Angaben anwaltlich versichert (Bl. 136 d.A.) und zu ihrer Glaubhaftmachung überdies eine eidesstattliche Versicherung von Frau H. vom 11.9.2001 vorgelegt (Bl. 138 f. d.A.).
In ihrer eidesstattlichen Versicherung hat Frau H. bestätigt, dass Rechtsanwalt Dr. H. sie am 20.8.2001 gegen 17.00 Uhr angewiesen habe, den Berufungsbegründungsschriftsatz im Anschluss an ihre Bürotätigkeit in den Nachtbriefkasten des Hanseatischen OLG zu werfen; aus für sie „unerklärlichen und nicht nachvollziehbaren Gründen” habe sie das Büro verlassen, ohne den genannten Schriftsatz mitzunehmen.
Nach Eingang des Wiedereinsetzungsantragsschriftsatzes der Klägerin hat der Vorsitzende des 1. Zivilsenats dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgegeben, dem Gericht eine Kopie sämtlicher Eintragungen aus seinem Fristenkalender für den 20. und 21.8.2001 vorzulegen (Bl. 147 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 19.9.2001 hat Rechtsanwalt Dr. H. lediglich eine Kopie des Fristenkalenders für den 16.8.2001 vorgelegt (Bl. 148 d.A.). In dem Schriftsatz vom 19.9.2001 ist (erstmals) ausgeführt, dass „die Frist … auf den absoluten Ablauf vornotiert” worden sei, allerdings zunächst nicht auf den 20.8.2001, sondern – von Frau H. – „versehentlich auf den 21.8.2001, weil diese übersehen hatte, dass zwar das Urteil am 21.6.2001 zugestellt, die Berufung aber bereits am 20.7.2001 eingelegt worden” sei. Die fehlerhaft notierte Frist sei ihm, Rechtsanwalt Dr. H. „bei Überarbeitung des Schriftsatzes am Abend des 17.8.2001 aufgefallen”; aufgrund dessen habe er Frau H. am Vormittag des 20.8.2001 angewiesen, den Schriftsatz im Anschluss an ihre Bürotätigkeit in den Nachtbriefkasten des OLG zu werfen. Diese Anweisung sei am 20.8.2001 um 17.00 Uhr wiederholt worden. Die Richtigkeit der Angaben in seinem Schriftsatz vom 19.9.2001 hat Dr. H. anwaltli...