Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Vertragsstatuts nach einer Rechtswahlklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen; Schadensersatzanspruch einer Genussrechtsinhaberin wegen der vertragswidrigen Beeinträchtigung des Genussrechtskapitals durch die Emittentin
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wahl des österreichischen Rechts in Genussrechtsbedingungen ist nicht überraschend i.S.d. § 864a ABGB, wenn die Emittentin ihren Sitz in Österreich hat und dies für den Anleger auch ohne Weiteres erkennbar ist.
2. Die Emittentin von Genussrechten trifft die Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genussrechtskapitals zu unterlassen bzw. zu unterbinden. Verletzt sie diese Pflicht, indem sie die Genussrechte im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung ohne angemessenen Ausgleich (Gewährung gleichwertiger Rechte oder Abfindung) zum Untergang bringt, kann eine vertragliche Schadensersatzverpflichtung gegenüber den betroffenen Anlegern entstehen.
3. Ob ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht, richtet sich nach dem auf den Rechtsstreit anwendbaren Sachrecht und nicht nach dem anwendbaren Prozessrecht. Denn bei dem Anspruch auf Prozesszinsen handelt es sich um einen materiell-rechtlichen Anspruch, so dass die lex fori nicht zur Anwendung gelangt (entgegen OLG Frankfurt, Urt. v. 22.05.2007 - 9 U 12/07; OLG Köln, Urteil vom 15. Oktober 2013 - 3 U 209/12).
Normenkette
ABGB §§ 864a, 1295; EGBGB a.F. Art. 27 ff.
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 4 O 886/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen, 4. Zivilkammer, vom 06.11.2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.693,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 21.05.2019 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 913,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 22.08.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung, hilfsweise auf Abrechnung, im Zusammenhang mit einer Genussrechtsbeteiligung in Anspruch.
Die Klägerin zeichnete im Jahr 2007 vinkulierte Namens-Genussrechte in Höhe eines Nominalwerts von 12.000,00 EUR an der X Investments AG, einer Aktiengesellschaft österreichischen Rechts mit Sitz in Wien. Zuzüglich eines Agios von 7 % waren von der Klägerin insgesamt 12.840,00 EUR für ihre Genussrechtsbeteiligung in Form einer Ratenanlage zu zahlen. In der Folge erbrachte sie Zahlungen in Höhe von insgesamt 11.543,00 EUR. Auf die zur Akte gereichten Genussrechtsbedingungen (Bl. 31 der Akte; im Folgenden auch GRB), insbesondere die §§ 5, 6, 8 und 13 der GRB, wird Bezug genommen.
Die X Investments AG wurde im Jahr 2013 durch formwechselnde Umwandlung zur X Investments GmbH (Im Folgenden X), die sodann mit Wirkung zum 31.12.2018 auf die Beklagte, eine Gesellschaft nach dem Recht Englands und Wales mit Sitz in London, verschmolzen wurde. Im Zusammenhang mit dem Verschmelzungsvorgang teilte die X Anlegerverwaltung der Klägerin im Februar 2019 mit, dass sich aufgrund der Verschmelzung die Genussrechte in Aktien (sog. B-Shares) der Beklagten umgewandelt hätten (Bl. 10 der Akte). In der Fußzeile dieses Schreibens war die Firma und Anschrift der Beklagten angegeben. Ausweislich einer dem Schreiben beigefügten Anlegerinformation betrug der rechnerische Wert der Genussrechte der Klägerin zum 31.12.2018 insgesamt 13.693,22 EUR (s. Bl. 9 Rückseite der Akte). Diese Wertangabe war mit einer Fußnote wie folgt versehen: "Der Berechnung des rechnerischen Wertes zum Stand 31.12.2018 liegen die Werte der Rechnungslegung mit Stand vom 31.12.2018 zugrunde." Die Anzahl gewährter Aktien war in der Anlegerinformation mit 13.693 Stück, der Nennwert pro Aktie mit 0,001 EUR angegeben.
Die Klägerin kündigte die Genussrechtsbeteiligung mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2019 außerordentlich und fristlos und machte zudem Auszahlungsansprüche in Höhe von 13.693,22 EUR gegenüber der Beklagten unter Fristsetzung zum 20.05.2019 geltend (Bl. 11 der Akte). Die Beklagte wies die außerordentliche Kündigung der Klägerin zurück und lehnte eine Zahlung ab.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass ihre Genussrechtsbeteiligung durch die erklärte fristlose Kündigung beendet worden sei und sie deshalb einen Anspruch auf Auszahlung in der geltend gemachten Höhe habe. Die Anlagegesellschaft habe gegen ihre Genussrechtsbedingungen verstoßen, da sie der Klägerin im Zuge der Verschmelzung keine gleichwertigen Rechte eingeräumt habe.
Die Klägerin hat mit ihrer der Beklagten am 21.08.2019 zugestellten Klage (s. Bl. 40 der Akte) beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 13.693,22 EUR zzgl. Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten zu verurteilen. Hilfsweise hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Genussrechtsbeteiligung der Klägerin au...