Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren: Übergangsregelung - Erfordernis der unverzüglichen Verzögerungsrüge bei bereits anhängigen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuches unter Beifügung eines nicht unterzeichneten Entwurfes einer Klageschrift wahrt die Frist zur Erhebung der Klage gem. § 198 Abs. 5 S. 2 GVG nicht. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist ist nicht möglich.
2. Ein Entschädigungsanspruch wegen der überlangen Dauer eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens kann für die Zeiträume vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3.12.2011 nur dann geltend gemacht werden, wenn eine Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem In-Kraft-Treten erhoben wurde. Eine sieben Wochen nach In-Kraft-Treten des Gesetzes erhobene Rüge ist verspätet. Die Erhebung der Verzögerungsrüge ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Verfahrensdauer zuvor schon (mehrfach) beanstandet wurde.
Normenkette
GVG §§ 198 ff.; ÜberlVfRSchG Art. 23; ZPO §§ 114, 167, 234
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 7 KLs 310 Js 43942/03) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 8.400 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht eine Entschädigung aus dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geltend.
Die Klägerin wurde mit Beschluss des LG vom 19.6.2004 in dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Bremen mit dem Az. 310 Js 43942/03 als Nebenklägerin zugelassen. Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 20.4.2004 wurde die Zustellung der Anklage an die Beschuldigten verfügt. Die Klägerin richtete im Jahre 2004 und 2005 verschiedene Sachstandsanfragen an die zuständigen Richter. Im Jahre 2009 wurde mitgeteilt, eine Hauptverhandlung sei für die erste Jahreshälfte 2010 geplant. Die Klägerin richtete weitere Sachstandsanfragen an das LG und erhob eine Rüge über die überlange Dauer des Verfahrens. Mit Beschluss des LG vom 22.9.2011 wurde die Anklage hinsichtlich einzelner Anklagepunkte zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Verhandlung fand ab dem 17.1.2012 bis zum 30.3.2012 statt. Das Verfahren gegen die Angeklagte B., die sich wegen der Taten zum Nachteil der Klägerin verantworten musste, endete in der mündlichen Verhandlung durch Einstellungsbeschluss des Gerichts gem. § 153 StPO.
Die Klägerin hat am 27.9.2012 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst einem Klageentwurf bei Gericht eingereicht. Mit Beschluss des Senats vom 7.1.2013 wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen der Beschluss wurde der Klägerin am 15.1.2013 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 29.1.2013, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, hat die Klägerin eine Klage bei Gericht eingereicht. Die Klägerin teilte in ihrer Klage mit, sie werde die erforderlichen Gerichtskosten unmittelbar nach Rechnungserteilung einzahlen. Der Kostenvorschuss wurde zunächst versehentlich bei der Klägerin persönlich angefordert. Am 5.3.2013 erfolgte die Übersendung der Kostenrechnung per Fax an die Klägervertreterin. Der Kostenvorschuss wurde am 12.3.2013 bei der Gerichtskasse eingezahlt. Mit Verfügung vom 18.3.2013 wurde die Zustellung der Klage an die Beklagte veranlasst.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Sie sei ohne Verschulden gehindert gewesen, die Klage fristgemäß zu erheben, denn sie sei aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage gewesen, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Die Klägerin trägt vor, das Verfahren weise eine Verzögerung von mindestens sieben Jahren auf. Aufgrund der überlangen Verfahrensdauer sei für die Klägerin als Opfer von Menschenhandel eine Situation entstanden, in der sie sich über die Jahre mit den für sie in jeder Hinsicht belastenden traumatischen Ereignissen habe befassen müssen. Es sei für die Klägerin ein erheblicher immaterieller Nachteil in Form einer massiven psychischen Belastung wegen des immer noch offenen Strafverfahrens gegeben gewesen.
Die Klägerin wendet sich gegen die Auffassung, wonach Beanstandungen der Verfahrensdauer vor In-Kraft-Treten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren mangels einer seinerzeit geltenden gesetzlichen Regelung keine Wirkung entfalten würden. Aus dem Gesetz ergebe sich nicht, dass eine zuvor ausdrücklich wegen der Dauer des Verfahrens erhobene Rüge nicht den Anforderungen des Gesetzes entspreche. Selbst wenn dieser Rechtsauffassung gefolgt werde, müsste jedenfalls die Unverzüglichkeit anders bewertet w...